Essays

Das Ende der Lieblosigkeit (aus SOL 43)

"...stößt dabei in Galaxien vor, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist."
So sehr ich mich früher darüber geärgert habe, wie falsch das Intro von STAR TREK über die Jahre übersetzt worden ist, so sehr stimmt diese Phrase in Bezug auf "unsere" Serie - PERRY RHODAN.
Gerade ist der Aphilie - Zyklus in den Silberbänden zuende gegangen. Auch wenn ich die Leser der ersten (bis fünften...) Auflage bis hierher herzhaft gähnen höre - für PR insgesamt ist der Aphile - Zyklus schon ein Meilenstein gewesen. Zum ersten Mal wurden Perry und seine Gefährten mit wahrhaft kosmischen Ereignissen konfrontiert. Zum ersten Mal wird das Zwiebelschalenmodell erwähnt, und die Terraner müssen erfahren, dass es neben ES noch weitere hoch stehende Entitäten gibt, auf die die Bezeichnung Superintelligenz angewendet werden muss. Außerdem erfährt man die Hintergünde des Konzils der Sieben. Und - nicht zu vergessen: die gute alte Erde durchlebt ihre bisher schwerste Krise, ihrer angestammten Heimat entwurzelt hat es sie in eine ferne Galaxie verschlagen, wo ihr so manches Verhängnis droht.
Ganz nebenbei wird in diesem Zyklus das Raumschiff eingeführt, dass bis heute eine ungebrochene Faszination für die meisten Fans darstellt: die SOL. Genug Gründe also, mal einen intensiven Blick auf die Silberbände 81 - 93 zu werfen und ausgewählte Handlungselemente Revue passieren zu lassen.
Namensgebend für den Zyklus steht ein Phänomen, eine rätselhafte Komponente in der Strahlung von Terras neuem Zentralgestirn, der Sonne Medaillon. Diese hyperenergetische Strahlung verursacht innerhalb relativ kurzer Zeit eine Abstumpfung der Menschen in emotionaler Hinsicht. Gefühlskälte breitet sich aus, Herzenswärme wird durch das Diktat der Logik, der "reinen Vernunft" abgelöst. Die Menschen stehen nicht mehr füreinanander ein, der Schwächere ist auf sich selbst gestellt und fällt seiner Schwäche zum Opfer. Es herrscht ein Sozialdarwinismus äußerster Kälte. Ausdruck dieser emotionellen Abstumpfung sind zum Beispiel die Stummhäuser, triste Orte der Abschiebung, in denen die Alten bei minimalem Aufwand gerade noch am Leben gehalten werden, bis sie - mehr oder weniger freiwillig - aus diesem scheiden. Entstanden in der Mitte der siebziger Jahre werfen diese Romane einen düsteren Schatten auf eine sich verändernde Gesellschaftsrealität, in der die überkommene Großfamilie nicht mehr existiert und Alte und Kranke trotz des Gebots der Sozialstaatlichkeit mehr und mehr ausgegrenzt werden. Ein Trend, der sich bis heute gefestigt hat.
Die wenigen Romane des Zyklus, die diese Geschehnisse thematisieren, sind ein gutes Beispiel für die analytischen Tendenzen innerhalb der Science Fiction, wie sie im Falle von PERRY RHODAN durch den damaligen Expokraten William Voltz so erschreckend wie prophetisch geprägt worden sind.
Gegen die Herrschaft der Lieblosigkeit stehen eine Handvoll Immuner, die gnadenlos gejagt und verfolgt werden, da sie als Irre und Kranke gelten. Zu diesen immunen zählen die Zellaktivatorträger - bis auf Reginald Bull. Allein Bullys Aktivator verhindert seltsamerweise nicht, dass die Aphilie auch ihn in ihren Bann schlägt, und so plant er im Geheimen den Staatsstreich gegen Perry Rhodan - der auch gelingt. Rhodan und viele Immune werden gezwungen, mit dem letzten großen Neubau der Flotte, der SOL, die Erde zu verlassen. Nur wenige Immune bleiben zurück, um das Regime der Gefühlskalten mit der ORGANISATION GUTER NACHBAR unter der Leitung von Roi Danton zu bekämpfen.
Hier sehe ich einen dramaturgischen Schwachpunkt in der Handlung: denn sehr schnell gelingt es den Immunen, Bully zu entführen und zu "heilen". Was aber hätte es für fulminaten Romane geben können, wenn Bull, der Diktator dauerhaft der Gegner Dantons gewesen wäre? Hier wurde leider ein großes Konfliktpotential nicht genutzt. Schade!
Die SOL erreicht inzwischen die Galaxis Balayndagar und trifft auf die Kelosker, äußerlich plumpe Kreaturen, die jedoch buchstäblich in Dimensionen denken, die für Menschen unerreichbar sind - und wahrscheinlich auch bleiben. Nach kurzen Konflikten und der Quasi - Übernahme der SOL durch die Kelosker, die das Herz des Schiffes, SENECA, unter ihre Kontrolle bringen, erfährt Perry Rhodan, dass die Kelosker Teil des unheimlichen Konzils der Sieben sind, und dazu ein nicht unwichtiger Teil. Ohne ihre strategischen Pläne können die militärischen Arme des Konzils ihre Herrschaft kaum aufrecht erhalten. Als dann die Galaxis der Kelosker durch mttelbaren Eingriff der Terraner - sie stören einen gigantischen Rechner, mit dessen Hilfe ein gewaltiges Schwarzes Loch, die sogenannte Große Schwarze Null, im Zaum gehalten wird - untergeht, bleibt den Menschen und Extraterrestriern an Bord der SOL nur der todesmutige Sturz in dieses Schwarze Loch, dem sie nicht entkommen können. Schönen Gruß an die Faszination Astronomie, die in dieser Zeit des vergangenen Jahrhunderts ihre erste große Blütezeit hatte.
Wunderbarerweise finden unsere Terraner aber gerade dadurch den Weg zu den Herrschern des Konzils, und können diese schließlich sogar in ihrem Domizil im Überraum isolieren. Das ist letztlich der Anfang vom Ende des Konzils.
Für mich kommt dieses Ende etwas zu zufallslastig und zu abrupt. Zufällig finden die Menschen die Galaxis der Kelosker, verursachen dort genau das Ende der Sterneninsel, das sie zu den Zgmahkonen führt, den Herrschern des Konzils und können dann auch noch mit relativ geringem Aufwand diese bisher mächtigsten Gegner der Menschheit in ihre Schranken weisen. Dieser Konflikt allein, zusammen mit den Geschehnissen auf der aphilischen Erde und in der heimatlichen Milchstraße, in der Atlan und Julian Tifflor gegen die Laren und Überschweren einen aussichtslosen Kampf führen, trotzdem aber sich und viele Menschen in einer Dunkelwolke dem Zugriff der Unterdrücker entziehen können, hätte sicher genügend Stoff für einen packenden Zyklus geliefert. Vielleicht wäre weniger hier tatsächlich mehr gewesen...
Aber die Autoren hatten noch viel mehr vor...
Die zwei wesentlichen Handlungsstränge beschäftigen sich in der Folge mit dem weiteren Schicksal der Erde im Mahlstrom der Sterne und Perry Rhodan und seinen Gefährten an Bord der SOL.
Als wäre es auf der Erde nicht schon ungemütlich genug, droht sie jetzt auch noch mitsamt dem ganzen System in den Schlund zu stürzen, einer hyperphysikalisch äußerst aktiven Region, die sich bei der Kollision zweier Galaxien gebildet hat und nun wie eine Art Nabelschnur diese Galaxien verbindet. Was einem Planeten aber geschieht, der dort hinein stürzt - und gar seinen Bewohnern - das ist unbekannt und höchst unsicher. Die Pläne der aphilischen Menschheit zur Evakuierung des Heimatplaneten stoßen allerdings auf eine mysteriöse Gegenwehr. Auf einmal können sich keine Schiffe mehr von Terra entfernen. Dafür taucht ein anderes, für die Machthaber sehr gefährliches Mittel auf, das der Aphilie selbst - dem perfekten Zustand für Aphiliker - zu Leibe rückt: die PILLE. Das ist ein netter Gag aus einer Zeit, in der die Pille die Gesellschaft mehr und mehr veränderte, indem sie dafür sorgte, dass das Leben der Frauen plötzlich anderen Inhalten offen steht als ausschließlich der Familie. Ein Konflikt beginnt, der bis heute nicht gelöst werden konnte. Auch hier beweist sich das sozialpolitische Engagement von Willi Voltz und seinen Mitstreitern. Die PILLE in PR jedenfalls befreit die Menschen - sie mögen wollen oder nicht - von der Lieblosigkeit, oder anders gesagt: sie befreit die Liebe von ihren gesellschaftlichen Fesseln... "sic!", wie der Lateiner sagen würde.
Dass dies nur auf das Eingreifen einer höheren Macht geschehen kann, ist indes typisch SF - viele warten bis heute auf eine solche Macht, die uns leitet...
Trotzdem bleibt es dramatisch, denn es kommt zum Unvermeidlichen: die Erde stürzt in den Schlund.
Was ist mit den Menschen geschehen?
Diese Geschichten und vor allem die daran anschließenden Abenteuer der TERRA - PATROUILLE gehören zu den besten Stories innerhalb des Zyklus! Hier wird wieder einmal exemplarisch der Kampf des Individuums gegen ein unbändiges Schicksal gezeigt, und schließlich erkennen die Menschen, dass sie gemeinsam wesentlich stärker sind, besser zurande kommen, wenn jeder seine Fähigkeiten in den Dienst der Gruppe stellt. Natürlich verursacht das Konflikte, denn unter den paar auf der Erde verbliebenen Menschen - die allermeisten sind beim Sturz in den Schlund rätselhafterweise verschwunden - gibt es weniger Frauen als Männer, was die Triebhaftigkeit letzterer auf eine schwere Probe stellt, aber dennoch setzt sich die Erfahrung durch, dass Kooperation trotzdem ein Segen ist.
Als die TERRA - PATROUILLE schließlich gezwungen ist, die Erde aufzugeben, die unter den Einfluss von mysteriösen Aliens, den Hulkoos und einer so genannten Kleinen Majestät, gerät, sind wir inmitten des Konflikts, den auch Perry Rhodan und die SOL längst ergriffen hat.
Der Konflikt zwischen zwei Superintelligenzen um den Ausbau bzw. Erhalt ihrer Einflussbereiche - der so genannten Mächigkeitsballungen - findet die Menschen zwischen seinen Fronten.
Hier offenbaren wieder einmal die Kelosker den Menschen um Perry Rhodan entscheidende Informationen über den Aufbau des Universums: das Zwiebelschalenmodell, das in den folgenden hunderten von Romanen immer wieder zentrale Bedeutung erlangen soll. Spätestens jetzt ist die Serie PERRY RHODAN wahrhaft im Kosmos angekommen.
Am Ende des Zyklus steht die Erkenntnis, dass sich Superintelligenzen - weder BARDIOC noch die KAISERIN VON THERM - in ihren Absichten letztlich von "einfachen" Menschen erschließen lassen. Trotzdem scheint die KAISERIN eher "gut" zu sein, während BARDIOC eher "böse" ist. Spielen solche ethischen Einschätzungen überhaupt noch eine Rolle für Wesen, die entwicklungstechnisch wie machtmäßig so weit über uns stehen, dass wir das kaum entschlüsseln können werden? Jedenfalls zwingt der kosmische Konflikt die Menschen dazu, Stellung zu beziehen.
Hierzu einige Anmerkungen: sehr gut finde ich einige im Verlauf dieser Handlungsfäden auftauchende Protagonisten, vor allem Douc Langur, den Forscher der KAISERIN. Sein Dilemma - wer bin ich - steht stellvertretend für die Sinnsuche einer Generation in den Siebzigern - wo die Romane ja entstanden sind - die sich angewidert von der Vergangensheitsverleugnung ihrer Eltern und Großeltern von diesen abwenden, nur um später doch Opfer der gesellschaftlichen Konformitäten zu werden. Hier ist der wahre Aufbruch einer Generation gescheitert. Bei PR bringen die Ereignisse die Menschheit schließlich in Bereiche, die wahrhaft kosmisch sind. Dennoch: lernt sie daraus? Die Antwort bleibt die Serie wohl bis heute schuldig... falls es diese Antwort überhaupt gibt...
Originell vom Ansatz, aber nicht von der Durchführung finde ich die Idee einer Gruppe von Aliens, die die bevorzugten Diener der KAISERIN VON THERM sind und die auf eine ganz besondere Art mit ihr kommunizieren: die Feinsprecher. Die Idee dahinter, dass Sprache ein Bindeglied zu elektronischen / positronischen Abläufen sein kann, ist faszinierend - aber heute ist die Art der überaus verklausulierten Höflichkeiten als Annäherung an Computersprache doch eher erheiternd. Nun, was trennt uns von den Menschen der siebziger Jahre? Neben vielen anderen Dingen doch wohl die Allgegenwärtigkeit von Computern, unter der wir heute leben und teilweise leiden...
So stößt der Aphilie - Zyklus eine Reihe von Türen auf, durch die die Menschheit immer mehr Zugang auf die kosmische Bühne erhält. In seiner Gesamtheit ist er deswegen für PERRY RHODAN so wichtig - und auch für den Leser stellt sich überwiegendes Vergnügen ein. Letzteres ist der Kreativität der Bearbeiter um Hubert Haensel zu verdanken, die natürlich vereinzelte Irrege der alten Romane nicht ungeschehen machen können - das wäre eine Verfälschung der Originale! - die aber den Lesefluss steigern können - und damit das bereits angesprochene Vergnügen.
Dafür herzlichen Dank an Hubert und seine Mannschaft!
Ich jedenfalls freue mich schon sehr auf den Beginn des nächsten Zyklus, der unter dem Titel BARDIOC wieder spannende Unterhaltung verspricht und dessen erster Band bei Veröffentlichung dieser Ausgabe der SOL bereits erschienen sein wird.
Also auf, zu den Sternen!

 

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