Essays

Gegner im Dunkel

Irrwege auf der Suche nach dem optimalen Roman

(aus SOL 41)

Perry Rhodan ist die größte Science Fiction – Serie der Welt, und das aus vielerlei Gründen. Neben den faszinierenden Inhalten trägt vor allem die Arbeitsweise der Autoren – das Erstellen der Romane nach Exposés, die nicht nur auf der Arbeit des Expokraten, sondern auf dem Brainstorming der gesamten Redaktion beruhen – ein Hauptteil dazu bei. So können eine ganze Reihe von Autoren ein Gesamtwerk erschaffen, das in sich geschlossen ist und eine kontinuierliche Geschichte der Menschheit auf ihrem Weg zu den Sternen beschreibt.
Wie so oft birgt der Weg zum Erfolg natürlich auch Risiken in sich, literarische Fallstricke sozusagen, die dazu führen, dass es neben den herausragend guten Romanen leider immer wieder zu Episoden kommt, die den Lesefluss in einem Zyklus hemmen und sich – jedenfalls ergeht es mir so – als ausgewachsenes Ärgernis präsentieren.
Dabei ist es so unvermeidlich wie normal, dass ein Autor auch mal einen Roman verfasst, der nicht sein schöpferisches Limit erreicht. Das soll auch nicht das Thema dieses Artikels sein, sondern es soll um eine Ebene gehen, auf die der Verfasser des Romans vielleicht nicht immer den völligen Einfluss hat, weil es sich um die Vorgaben des Exposés handelt. Natürlich aber spielt der Freiraum eines Schreibers auch immer eine Rolle – was naturgemäß nicht immer optimal ausfällt.
Am Beispiel vom Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, möchte ich deshalb mal den Finger auf diese Wunde legen. Ich tue das der konstruktiven Anregung wegen, damit die Serie noch besser wird.
Ich greife hierfür einen Roman aus oben genanntem Silberband beispielhaft aus der großen Vielzahl heraus, in diesem Fall H.G. Francis mit „Rückkehr der SOL“, an dem die Kritik deutlich werden soll. Dass damit in keiner Weise das Gesamtwerk des Autors herab gewürdigt werden soll, versteht sich von selbst!

Punkt eins: Charakterentwicklung

Eines der Hauptprobleme einer lang laufenden Serie ist die Darstellung der Hauptcharaktere. Neben den inzwischen unzähligen Protagonisten in den Perry Rhodan – Romanen braucht der Leser immer auch solche Figuren, mit denen er sich langfristig identifizieren kann und die somit das Gerüst der Serie darstellen und ihr Gesicht wesentlich prägen. Neben mehreren anderen sind dies vor allem natürlich Perry Rhodan selbst und die ihn umgebenden Unsterblichen, vor allem Atlan, Bully, Gucky und so weiter. Wie aber stellt man einen Charakter dar, der zum einen über eine gewaltige Lebenserfahrung verfügt – bedingt durch die Zellaktivatoren – und zum anderen von vielen in ihrer Darstellungsweise durchaus unterschiedlichen Autoren geschildert wird? Ein solcher Charakter muss sich zwangsläufig in relativ engen Grenzen zeigen, die für alle bindend sein müssen, sonst wird im Extremfall aus einem strahlenden Helden im nächsten Heft ein erbärmlicher Feigling, aus einem klugen Denker ein Dummkopf. Diese Festlegung auf verhältnismäßig wenige Merkmale in der Natur des betreffenden Charakters macht es aber sehr schwer, ihm die Tiefe zu geben, die man nun einmal braucht, um sich wirklich mit ihm identifizieren zu können.
Was zeichnet einen Unsterblichen also aus? Das erste, was mir dazu spontan einfällt, ist eine gewaltige Lebenserfahrung – im Fall des hier betrachteten Silberbandes spielt die Handlung im Jahre 3582. Reginald Bull – der im Roman „Rückkehr der SOL“ eine tragende Rolle spielt – ist also bereits über 1600 Jahre alt. Schauen wir uns vor diesem Hintergrund einmal einige Situationen aus der Handlung des Romans an.
„Ich habe Sie noch nie gesehen, Mister Bull“, eröffnete Kayla.
„Und nun sind Sie enttäuscht?“
„Keineswegs. Ich hatte erwartet, einem vertrockneten Knacker zu begegnen, aber Sie machen zumindest äußerlich noch einiges her.“
Bully blieb die Luft weg.
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 20)
Bully blieb also „die Luft weg“. Reginald Bull gilt in vielen Romanen, in denen er hauptsächlich agiert, durchaus als „Womanizer“, was ich gut nachvollziehen kann: mit einer derartigen Erfahrung könnte ich wohl auch jede Frau schwindlig flirten. Jetzt aber macht er einen ziemlich unbeholfenen Eindruck, und das auf eine Äußerung hin, die er als Unsterblicher sicherlich schon etliche Male gehört haben dürfte.
Schauen wir weiter:
Kayla tippte (Raydoc) auf die Brust. „Ich ahne Böses. Du hast mit Bully gesprochen, und er hat gebrüllt wie ein wild gewordener Bulle.“
„Ganz so war es nicht, Kayla, ich glaube, du unterschätzt ihn.“
„Ich unterschätze Bully?“ Sie lachte übermütig. „Wir haben ihn schon fast auf die Knie gezwungen; da gibt es nichts mehr zu unterschätzen.“
„Du irrst dich gewaltig. Er mag auf den ersten Blick poltrig und unbeherrscht erscheinen, denn sein Temperament geht manchmal mit ihm durch. Aber das ist ein Irrtum. (...) Reginald Bull kann auch eiskalt sein.“
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 32)
Dieses Zitat zeichnet dagegen einen völlig anderen Bully. Dass er „auf den ersten Blick poltrig und unbeherrscht“ erscheint, mag noch angehen, denn letztlich hat jeder so seine „Masche“, und das nicht nur dem anderen Geschlecht gegenüber. Verglichen aber mit der ersten Situation erscheint mir die Charakterisierung als „eiskalt“ jedoch einen ganz anderen Menschen zu beschreiben. Und weiter:
Bull hätte eigentlich aufmerksam werden müssen, aber er wurde es nicht. Er war zu sehr darauf bedacht, die korpulente Administratorin zu einem Essen vor der Inspektion zu bewegen. Von ihren Gedanken ahnte er nichts.
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 45)
Von wegen eiskalt! In dieser Sequenz erscheint der Unsterbliche geradezu naiv. Es ist kaum glaubhaft, dass ein Mensch von 1600 Jahren so eingleisig denkt.
Als er den Kleintransmitter vor sich sah, begriff er jäh, wie sehr er getäuscht worden war. (...) Doch Mayk Terna setzte ihre Faust direkt auf seine Kinnspitze. Reginald Bull sah nur noch ihre funkelnden Augen, dann stürzte er in eine tiefe Bewusstlosigkeit.
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 48)
Natürlich geht Bully der Administratorin in die Falle. Aber auch, wenn die Frau ihm an Körperkraft überlegen sein mag – sie lebt auf einem Planeten mit leicht erhöhter Schwerkraft, 1,17 Gravos – so dürfte er ihr doch nicht so einfach zum Opfer fallen. Man überlege sich: ein immer wieder zum Kämpfen gezwungener, in Selbstverteidigung (Dagor!) bestens ausgebildeter, starker Mann wird einfach so mir nichts, dir nichts ausgeknockt. Sehr unglaubwürdig!
Sie führte ihn in einen Nebenraum; die bewaffneten Frauen folgten ihnen. Roi Danton zuckte zusammen, als er den Transmitter sah. Mayk packte seinen rechten Arm, eine andere umklammerte den linken. Bevor Roi Danton noch recht wusste, wie ihm geschah, stießen sie ihn in das Entstofflichungsfeld.
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 51)
Um das ganze auf die Spitze zu treiben, fällt auch Roi Danton in gleicher Manier den Frauen zum Opfer. Was ist mit seiner gewaltigen Erfahrung? Was ist mit seinen Kampfkünsten? Auch wenn er sich Bewaffneten gegenüber sieht: man denke nur daran, dass er sich in jungen Jahren schon als König der für ihren rauen Umgang untereinander berühmten Freihändler behauptet hat.
So sehr also die Charakterisierungen von gleich zwei Unsterblichen hier meinen Unmut erregen, so setzt Francis in seinem Roman sogar noch eins drauf – und das schlägt sogar den stärksten Eskimo vom Schlitten!

Punkt zwei: Dramaturgie und Kontinuität

Der Arzt stieg eine Treppe hinab und erreichte einen hell erleuchteten Korridor. Vor ihm kauerte ein junges Mädchen auf dem Boden und stützte den Kopf auf den Knien ab. Er konnte ihren mit Schorf überzogenen Nacken sehen. (...)
„Es sieht katastrophal aus“, berichtete der Genbiologe. „Hier scheint es niemanden mehr zu geben, der nicht infiziert ist. (...) Die Inkubationszeit ist wohl außerordentlich kurz.“
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 62)
Völlig unmotiviert kommt es auf dem Planeten plötzlich zu einer äußerst aggressiven Seuche, die in kürzester Zeit immer weiter um sich greift. Dabei hat diese Seuche absolut keine dramaturgische Funktion; sie erscheint aus dem Nichts und wird natürlich binnen sehr kurzer Zeit auch durch die Wissenschaftler der SOL analysiert und unschädlich gemacht. Wenn man Spannung erzeugen will, darf man sich nicht nur an den oberflächlichlichen Gegebenheiten orientieren. Genau so wichtig wie das „was“ – das „Vehikel“, mit dem man die Spannung erzeugt, das fremde Raumschiff, der gefährliche Planet oder auch der Virus – ist das „warum“: warum passiert gerade jetzt das, was passiert? Warum taucht gerade jetzt das fremde Raumschiff auf? Warum bricht gerade jetzt die Seuche aus? Wird diese Frage nicht genau so sorgfältig beantwortet wie die nach dem „was“, verpufft vielleicht sogar die gesamte Spannung und hinterlässt ein Gefühl irgendwo zwischen Leere und Ärger.
Nachdem ich mich also über diese Seuche hinreichend geärgert habe – eigentlich habe ich mich ja gefragt: hallo? Was ist das denn jetzt? Oder um mit Loriot zu sprechen: Wo laufen sie denn? – sie führt auch noch zu einem in meinen Augen katastrophalen Kontinuitätsbruch.
Rhodan betrat den Raum, in dem der Genbiologe arbeitete. (...)
„Wie weit sind Sie, Doktor? (...) Ich habe mich ebenfalls infiziert.“
„Das stand für mich von Anfang an fest“, erwiderte der Arzt. (...) „Es sind äußerst aggressive Bakterien.“
(Silberband 90, „Gegner im Dunkel“, Seite 64)
Eine der bedeutendsten und für die fortschreitende Handlung existenzielle Eigenschaft unserer Helden ist ihre Unsterblichkeit. Die Zellaktivatoren werden immer so beschrieben, dass sie neben der Verhinderung des Alterns auch alle schädlichen Einflüsse wie Krankheiten und Gifte von ihren Trägern fernhalten. War die Entwicklung Bullys zum „Licht der Vernunft“ in der Frühzeit des Aphilie – Zyklus’ noch ein dramaturgisch recht geschickter Schachzug – wer weiß schon, wie höher – dimensionale Strahlung eventuell auf die Aktivatoren wirkt? – so ist der Befall Rhodans durch eine bakterielle Krankheit aber völlig unglaubwürdig.
Ich bemühe immer wieder gerne die Analogie von Texten und Filmen: beide Kunstformen folgen in bestimmten Aspekten den gleichen Gesetzmäßigkeiten – oder sollten das zumindest tun!
Eines dieser Gesetze, das vor allem in Serien von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, heißt Kontinuität. Damit ist gemeint, dass eine Person oder ein Objekt nicht in einer Folge der Serie die Eigenschaften A, B und C haben kann und später – ohne dass der Wandel erklärt wird – die Eigenschaften D, E und F. Wenn es also keine glaubhaften Umstände gibt, die erklären, warum etwas oder jemand plötzlich ganz anders ist als zuvor, wird dies vom Leser / Zuschauer unmittelbar als Bruch empfunden, der mindestens verwirrend ist, meistens aber einfach lästig und störend. Eine der Hauptaufgaben bei der Entwicklung von Serien ist es also, solche Brüche in der Kontinuität von Personen oder Objekten unbedingt zu vermeiden.
Wenn also etliche Male postuliert wird, dass der Träger eines Zellaktivators vor Giften und Krankheiten geschützt ist, ist es eine schwere dramaturgische Sünde, dies plötzlich anders herum darzustellen.
Darüber hinaus wirkt diese Passage in dem angesprochenen Roman nicht nur ärgerlich, sondern kommt für mich daher wie ein klassischer Lückenbüßer. Ich weiß nicht, was ich noch schreiben soll, um auf meine Seitenzahl zu kommen, dann schreibe ich eben irgendwas... sicherlich nicht die beste Methode, sein Publikum zufrieden zu stellen.
Besser wäre es gewesen, den Konflikt von Bully und Danton mit den Frauen der Kolonie intensiver zu beleuchten, die Charaktere sauberer und vor allem tiefschichtiger anzulegen. Auf diese Weise wäre der Platz in dem Roman auf jeden Fall sinnvoller und interessanter gefüllt.
Meine Bitte und mein Appell an alle Beteiligten hieraus lautet also: Versucht, die handelnden Personen innerhalb des ihnen zukommenden Raumes mehr wie echte Menschen – oder Aliens – zu schildern, statt sie in die nächst beste Klischee – Vorlage zu pressen! Und achtet auf die Kontinuität innerhalb der Serie! Auch wenn nicht jeder immer das Opzimum aus seinen Fähigkeiten herausholen kann: bei Perry Rhodan arbeiten sehr gute Schriftsteller, phantasiebegabt und gute Handwerker – Ihr habt so etwas einfach nicht nötig!
Und falls sich jemand fragt, warum ich ein Beispiel aus den Silberbänden gewählt habe – die ich lese, wie man sich vielleicht erinnert – und nicht aus der aktuellen Serie (die ich, ich gestehe dies nur ungern, nicht lese, weil mir einfach zu viel fehlt bei meinem Wissenstand), so werfe er oder sie doch einen Blick in die Kolumne von Rainer Stache, dem galaktischen Beobachter – auch in den neuen Romanen des aktuellen Zyklus besteht noch Raum zur Optimierung.
Nutzt diesen Raum, liebe Macher von Perry Rhodan –  Eure Leser werden es Euch danken!

 

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