Essays
Perry Rhodan mit Silberblick (Aus SOL 37)
„Was bitte“, fragt der Mann, dessen Gesichtsausdruck seine inneren Verwirrung mehr als deutlich widerspiegelt, „ist ein Thoregon? Wer sind die Ritter der Tiefe? Wo ist DaGlausch?“
Du lächelst wissend, doch hast du keine Chance zu einer Antwort, denn der Fremde vor dir bestürmt dich schon mit weiteren Fragen.
„Wohin führt die Brücke in die Unendlichkeit? Was ist die Unendliche Armada? Und wo liegt Tradom?“
Die Stimme des Fremden wird immer verzweifelter, gleichzeitig rückt er dir näher und näher, so dass du seine Anwesenheit fast schon als Bedrohung empfindest.
„Also...“, setzt du an, doch schon wirst du von dem verzweifelten Mann wieder unterbrochen.
„Wer ist Laire? Was ist ein Kosmonukleotid? Und wer sind die Kosmokraten?“
„Stop!“ sagst du und versuchst, deiner Stimme einen möglichst energischen Klang zu verleihen. „So geht das nicht! Eins nach dem anderen!“
„Aber ich muss es wissen“, ruft der andere, und Wahnsinn spiegelt sich in seinen Augen, „ich muss es wissen, hörst du! Alles! Jetzt!“
Du bist Perry Rhodan – Fan und Leser der ersten Auflage, und das seit Jahren. Der andere aber, der Verzweifelte, der dem Wahnsinn nahe ist, das bin ich...
*
Ich lese die Silberbücher.
Das hat einige enorme Vorteile, vor allem wenn man es liebt, ein „richtiges“, ein gebundenes Buch in Händen zu halten. Diese sinnliche Erfahrung ist für einen Bibliophilen – als den ich mich bezeichnen möchte – wirklich mit kaum etwas zu vergleichen. Jedes Medium hat seine ganz eigene Form der Darbietung, und ich finde es einfach nur schön, so ein Buch zu halten, sein Gewicht zu fühlen, den starren Einband, die Bindung... das hat was!
Und man bekommt ja die Abenteuer der größten SF – Serie der Welt in schön gestalteten Büchern präsentiert, in handlichem Format, mit 3D – Titelbild und Risszeichnung. Die enthaltenen Romane werden von kompetenten Redakteuren gewissenhaft überarbeitet, logische Fehler korrigiert, wie sie in einem Mammutprojekt, wie Perry Rhodan das nun einmal seit Jahrzehnten ist, bei aller Sorgfalt doch unvermeidlich sind. Und man hat das Gefühl, mit jedem Buch einen großen, mehr oder weniger in sich abgeschlossenen Roman in Händen zu halten. Darin liegt wohl auch der größte Unterschied zur Heftausgabe, deren einzelne Romane insgesamt zwar ein großes Ganzes ergeben, aber durchaus auch mal ganz abrupt enden können, frei nach der Devise: „Fortsetzung folgt!“
Ich lese die Silberbücher.
Und das hat auch einige gewichtige Nachteile. Die Ausgaben sind mit Band 86 halt gerade erst mitten im Aphilie – Zyklus angekommen, das entspricht der Heftausgabe 749. Die seit Jahrzehnten erscheinenden Hefte haben bereits die Nummer 2200 hinter sich gelassen. Das sind nicht nur Welten, das sind sprichwörtliche Universen, die sich dazwischen befinden. Und deshalb fühle ich mich seit einiger Zeit irgendwie wie das fünfte Triebwerk am Raumschiff...
Das kommt immer dann vor, wenn ich z.B. die SOL lese, was ich jetzt seit einigen Jahren tue. Oder es überkommt mich, wenn ich mich auf der Perry Rhodan – Website umsehe. Mit einem Wort: es ist ein echtes Dilemma!
Wie nähert man sich einem Phänomen, das es seit über vierzig Jahren gibt?
Das bereits da war, als man gerade erst in das Alter kam, in dem solche Abenteuer für einen interessant wurden?
Diese Zeit – das waren für mich die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts – Mann, wie das klingt! – war noch voll geprägt von den Vorurteilen der damaligen Erwachsenen gegen die „Verbreitung von Schund durch die Groschenhefte“. Auch ich habe diesen Kampf mit meinen Eltern geführt, die mich im Übrigen nicht besonders dazu angeleitet haben, meine Nase in Bücher, gleich welcher Art, zu stecken. Mein Kampf galt allerdings mehr den kleinen bunten Heftchen, den Comics. Wenn ich heute an die Ausgaben von damals denke und wie ich mit feuchten Händen zum Kiosk gerannt bin, nie sicher, ob das knapp bemessene Taschengeld auch für alle Serien reichen würde, die ich so gerne las – „Tarzan“, „Robin Hood“, „Die Spinne“, „Superman und Batman“...
Neben diesen Perlen der Unterhaltungsliteratur lagen dann da auch diese Heftchen mit den phantasievollen Titelbildern eines Johnny Bruck – das wusste ich damals natürlich noch nicht – die zwar auch ansprechend gestaltet waren – aber man kann halt nicht alles haben, gell? Schließlich muss man ja auch Prioritäten setzen, oder?
Dass das aber dazu führt, dass ich mich heute auf keinen PR – Con traue, wer hätte das damals gedacht? Wirklich, wenn ich daran denke, dass du, der Leser der ersten Auflage, mich ansprechen und mich nach meiner Meinung zum aktuellen Zyklus fragen könntest – oder nach einem Zyklus der letzten zwanzig Jahre... brrrr! Da kriege ich ja allein bei dem Gedanken schon einen ausgewachsenen Minderwertigkeitskomplex!
Wie nähert man sich einem Phänomen, das einem gut achtundzwanzig Jahre voraus ist? Selbst wenn ich dreimal so viel Hefte lesen würde wie neu erscheinen, bräuchte ich über neun Jahre, nur um auf den jetzigen Stand zu kommen! Die Erstauflage wäre dann aber schon etwa bei Band 2700 und mir damit schon wieder fast fünfhundert Hefte voraus! Diese Rechenspiele kann man beliebig fortsetzen...
„Moment!“, höre ich dich, den geneigten Fan da rufen, „es gibt doch noch die dritte und die fünfte Auflage!“
Natürlich gibt es die! Sie bringen mich aber nicht wirklich weiter... denn was wird aus meinen ganzen anderen Büchern? Ich lese sehr viel... natürlich die von mir so geliebten Comics, dann jede Menge „andere“ SciFi – Romane (ich war immer schon mehr SF – Fan als Fan nur einer einzigen Spielart dieses Mammutgenres), die Fantasy nicht zu vergessen, dann die für mich ebenfalls so wichtigen Werke über Geschichte und Archäologie, über Astronomie und andere dazu gehörende Wissenschaften und natürlich auch die „hohe“ Literatur, der ich seit Jahrzehnten verbunden bin – ich habe beispielsweise den kompletten Shakespeare im Original gelesen, einfach wunderbar! Und Krimis, Thriller, Detektivgeschichten... es gibt halt so viele Bücher, und es gibt so wenig Zeit!
Tja, und da sind ja auch noch die Filme, nicht wahr? Ich bin bekennender Cineast und Filmfan, naja, und schreiben tue ich „nebenbei“ auch noch so einiges...
Einen weiteren Aspekt darf man auch nicht vergessen: es kommt schon mal vor, dass am Ende des Geldes noch eine ganze Menge Monat übrig ist... auch nicht wirklich toll...
Wie Walter Giller schon so treffend sagte: „Es bleibt schwierig.“
All das in Betracht gezogen, muss ich jedoch immer noch sagen, dass die schiere Menge an Romanen, die es mittlerweile bei Perry Rhodan gibt, mich immer noch am meisten abstößt, mich bei aller Neugier und Faszination schneller und weiter vorzuwagen. Abstößt in dem Sinne, wie ein gewaltiger Berg einen abstößt, der unmittelbar vor einem aufragt, mit schroffen, steilen Hängen, die von unten absolut unbesteigbar wirken... Man neigt in unseren dekadenten Zeiten eben dazu, lieber drum herum zu laufen als den Aufstieg zu wagen...
Das selbe Phänomen gibt es übrigens noch auf einem anderen Sektor der Unterhaltungsliteratur: den schon erwähnten Comics. Superheldengeschichten mit Spider-Man gibt es auch schon schlanke vierzig Jahre, und nicht wenige Leute, die eigentlich gerne die Abenteuer des Netzschwingers lesen würden, werden durch dieses gigantische Vermächtnis abgeschreckt. Was haben die Herausgeber der Comics daraufhin getan? Sie haben die wichtigsten Serien noch einmal veröffentlicht, nicht in Form einer neuen Auflage, sondern völlig neu erschaffen und für das heutige Publikum gemacht. Das ganze nennt sich das „ultimative“ Universum und die Serien dementsprechend „Der ultimative Spider-Man“, „Die unltimativen X-Men“ und „Die Ultimativen“ (Rächer). Und was soll man sagen: dieses Konzept ist voll aufgegangen, die neuen „alten“ Helden sind enorm erfolgreich. Soll das eine Anregung für die PR – Redaktion sein? Keine Ahnung. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie diese Neuausgabe auf PR übertragen werden könnte... aber zurück zum „Erben des Universums“.
Warum schreibe ich überhaupt über diese Thematik? Na, ist doch klar: damit du, der Erstauflagenleser endlich mal einen – wenn wahrscheinlich auch positronisch kurzen – Moment verharren und mich vom Grunde deines Herzens bedauern mögest. Das täte so wohl... aaaahhhh, ja. Was? Wie, schon vorbei?
Na gut!
Wie wäre es denn dann damit, die Anzahl der Silberbände pro Jahr zu erhöhen? Momentan erscheinen vier Bücher im Jahr, wie wäre es denn mit sechs? Diese Frage habe ich übrigens auch mal dem Team von „Langes Infocenter“ gestellt, und deren Antwort lautete sinngemäß wie folgt: Mehr Bücher pro Jahr gehen nicht, zum einen wegen des erheblichen redaktionellen Mehraufwandes, zum anderen wegen der voraussichtlichen Akzeptanzprobleme bei den Lesern, die ja dann mehr bezahlen müssten.
Liebe Leute, so angetan ich auch von der Schnelligkeit Eurer Antwort war, so sehr möchte ich doch deren Inhalt anzweifeln. Denn der Mehraufwand der Redaktion, rechnerisch fünfzig Prozent, lastet ja nicht auf den Schultern nur eines Mannes, sondern die Silberbücher werden doch im Team bearbeitet, und ca. fünfzehn Romane im Jahr mehr zu sichten kann so schlimm nicht sein. Natürlich muss diesem Aufwand ein Ertrag gegenüberstehen, der ihn rechtfertigt. Ich persönlich kann mir da nicht vorstellen, dass ein Betrag von gut dreißig Euro – wieder besagte fünfzig Prozent – aufs Jahr gerechnet wirklich ein unkalkulierbares kaufmännisches Risiko für den Verlag auf der einen und den geneigten Leser auf der anderen Seite darstellen, oder anders ausgedrückt: Worauf fußt die Überzeugung des Verlages, die Silberbücher würden sich auf keinen Fall sechsmal im Jahr verkaufen? Stellt das doch mal zur Diskussion! Schließlich gibt es ja neben der PR – Heftausgabe jedes Jahr auch andere Zusatzpublikationen, die ihre Leser finden: die Atlan – Blaubände (die ich lese), die Atlan – Kurzzyklen (die ich trotz der zeitlichen Nähe zur aktuellen Handlung auch lese), die PR – Kurzzyklen in Kooperation mit dem Heyne – Verlag (die ich, richtig erkannt, ebenfalls lese, obwohl ich die Hintergründe nicht kenne)... sind da zwei Silberbücher mehr im Jahr so ein Risiko?
Wo sind meine Leidensgenossen? Wo sind die vielen Leser der Silberbände: leidet ihr nicht auch so wie ich? Gerade angesichts der Tatsache, dass es in Perry Rhodan auf dem Stand der Hardcover – Ausgabe jetzt so richtig kosmisch wird, entwickele ich einen ungeheuren Enthusiasmus – man könnte auch schlicht „Bock“ sagen – darauf, endlich weiter zu lesen.
Liebhaber der Silberbücher, vereinigt Euch! Prangert sie an, die Ungerechtigkeit! Auf zur Revolution! (Oh, ich glaube, da gehen gerade ein bis zwei Pferde mit mir durch...)
Jedenfalls wünsche ich mir, dass mein „Silberblick“ sich klären möge, so dass ich auch – wenigstens ein kleines bisschen – schneller zu all den faszinierenden Welten aufbrechen kann, wo... der Erstauflagenleser schon längst gewesen ist...
Ich lese die Silberbücher.
Bin ich nicht ein armes Schwein?