Auszug aus dem Fantasy-Roman

Messetha

oder

Meine ungeheure Schuld

 

Kapitel eins

Es war eine Taverne wie viele hier im öden Grenzland zwischen den Ebenen der großen Städte und der tödlichen Weite der Jyllinischen Wüste, durch die es von alters her nur einen Karawanenweg gab.
Die Taverne war aus rohen, kaum behauenen Steinen zusammengebaut, die Fugen zwischen den Ziegeln mit Moos verstopft und mit Pech verklebt. Das Erdgeschoss wurde eingenommen von einem großen Schankraum, in dem zwei offene Kamine die nächtliche Kälte vertrieben, einem Lagerraum für Speisen und Getränke sowie den Kammern des Wirtes und seiner Familie. Oben, im ersten Stock unter dem mit groben Schindeln bedeckten Dach, gab es eine Anzahl kleiner, karg eingerichteter Zimmer, die an Reisende für geringes Entgelt vermietet wurden.
Im Schankraum herrschte noch überwiegend Leere, jetzt, da der Nachmittag langsam zum Abend wurde und die Menschen der Ansiedlung noch auf ihren Feldern schufteten, um dem karstigen Boden die Erträge abzuringen, die sie für ihr Überleben brauchten. Hätte der Ort, dessen Name Thoves lautete, nicht an der Karawanenstraße gelegen, es hätte hier nicht genug gegeben, um seine Einwohner zu ernähren. So konnten sie Teile ihrer Erzeugnisse und handwerkliche Dienstleistungen an die Durchreisenden verkaufen und hierdurch ihr schmales Einkommen etwas steigern.
Zwei Händler saßen dort und besprachen irgendwelche geschäftlichen Angelegenheiten, ein Treckführer bereitete sich auf den Abmarsch einer Karawane vor, die Thoves diese Nacht in Richtung Wüste verlassen würde und ein Reisender, der an einem Tisch an einem der kleinen Fenster hockte und im schwindenden Licht des Tages über irgendwelchen Papieren brütete.
Dieser Reisende zog immer wieder die verstohlenen Blicke des Wirtes, eines kleinen, unglaublich fetten Männleins auf sich. Niemals zuvor war seine Zeche im Voraus mit einem tralerischen Dukaten beglichen worden, einer handtellergroßen Münze aus purem Gold, deren Wert mehr als beträchtlich war. Der Reisende hatte diese Münze gegeben für einen Aufenthalt von einer Woche oder zehn Tagen. Für diese Summe, so hatte der Wirt überschlagen, hätte er auch einen Monat unter seinem Dach wohnen können.
‚So lange bin ich schon unterwegs’, dachte der Reisende müde und mit wachsender Verzweiflung, ‚so lange schon’. Seit fast zwei Jahren war er auf der Suche... auf der Suche nach den sieben Schwertern von Messetha, dem ultimativen Krieger. ‚So wenig habe ich erst erreicht’.
Er seufzte leise.
Lärm auf dem Hof des Gasthauses ließ den Reisenden aus seinen trüben Gedanken schrecken, der Laut von wohl drei heranpreschenden Pferden, drei Reitern, die nach Knechten brüllten, das Klirren von Stahl – die Ankömmlinge waren offenbar in Rüstungen gehüllt.

Ein Schlag, ein schwerer Fall, ein Schmerzenschrei. Die Reiter waren nicht sehr rücksichtsvoll, noch waren sie geduldig.
Wenige Momente hiernach erbebte die Eingangstür in ihren quietschend protestierenden Angeln und flog krachend auf. Im Türrahmen erkannte man im Zwielicht des endenden Tages die massige Gestalt eines grobschlächtigen, muskelbepackten Hünen in einer vor Staub nur stumpf schimmernden Rüstung. Er war behängt mit Waffen aller Art, von denen ein gewaltiges Breitschwert am meisten beeindruckte. Der Krieger trug es nach südländischer Art auf dem Rücken gegürtet, so dass nur ein riesiger Griff über die Schulter ragte, die Klinge reichte trotzdem hinab bis unter die Knie des Trägers. Langes, in mehrere grobe Zöpfe geflochtenes, verfilztes Haar reichte vom lederbehelmten Schädel bis zur Gürtellinie herab, umgab ein grobes Gesicht, das von einer breiten Narbe auf der rechten Wange, die bis zum Hals hinunter führte, enstellt wurde.
Der Krieger rammte seine Lanze, einen schweren Wurfspieß, in die Bohlen, die das Obergeschoss trugen und lachte ungeschlacht.
„Hört mich!“, brüllte er in den Schankraum hinein. „Ich bin Tippecahoe, Lord der südlichen Provinzen von Jahirah! Ich verlange Unterkunft, Fleisch, Brot und Wein für mich und meine Begleiter!“

Wieder das Lachen, das mehr einem Grölen ähnelte.

„Vor allem Wein!“
Der fette Wirt beeilte sich, dienernd hinter seiner Theke hervorzukommen.
„Ja, mein Lord, natürlich, mein Lord, gutes Essen und köstlicher Wein für Euch und Euer Gefolge, mein Lord.“
Tippecahoe ignorierte den in seiner Unterwürfigkeit lächerlichen Gastwirt und stampfte zur Theke. Hinter ihm betraten zwei weitere Gestalten die Schänke, die ebenso verstaubt und genauso ungehobelt waren wie der Anführer. Auch sie trugen Rüstungen, damit erschöpften sich aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Beide waren eher schlank und lange nicht so groß wie Tippecahoe. Einer trug ein Schwert und zwei Dolche in seinem Wehrgehänge, der andere hatte einen großen Bogen aus Horn in der Hand und einen großen Köcher voller schwarz gefiederter Pfeile auf dem Rücken. In einem breiten Gürtel, der quer über die schmale Brust lief, steckten ein halbes Dutzend kleiner Wurfmesser. Vom Gesicht sah der Erste aus wie ein Geier, der Zweite mutete an wie ein Schakal. Beide ließen ihre Blicke über die im Schankraum anwesenden Personen gleiten, als schätzten sie ab, wieviel Beute deren Ermordung ihnen wohl einbringen würde. Jeder senkte die Augen unter dieser Musterung, nur nicht der über seinen Papieren arbeitende Reisende. Kühn erwiderte er die stumme Herausforderung, woraufhin er wütend angeblitzt wurde, die beiden Strolche folgten jedoch ihrem Lord zur Theke. Dort standen die Frau des Wirtes, eine ältliche Matrone, und beider Tochter, eine junge, unscheinbare, wenn auch nett anzusehende Maid. Die drei Krieger waren wohl lange Zeit unterwegs gewesen, lange Zeit hatten sie keine Frau gehabt, und so stierten sie das arme Mädchen unverhohlen lüstern an.
„Wein!“ brüllte Tippecahoe. „Bring uns Wein, und eine Menge davon!“
Die drei Ankömmlinge widmeten sich ihrem Durst und Hunger, und so kehrte zunächst wieder Ruhe ein in der Schänke, während der Abend hereinbrach. Der Wirt und seine Frau entzündeten die Kamine und eine Reihe von raucharmen Laternen, die mit einem aromatisch duftenden Harz brannten. Über einem der großen Kaminfeuer drehte sich ein stattlicher Braten und verbreitete weitere Düfte im Schankraum.
Der Reisende raffte irgendwann seine Papiere zusammen und brachte sie auf sein Zimmer. Dann kehrte er zurück, um sein Nachtmahl einzunehmen. Die Tochter des Wirtes servierte ihm ein schönes Stück Wildbret, frisches, knuspriges Brot, eine Schale mit süß eingelegten Trauben und je einen kleinen Krug Wasser und Wein. Der junge Mann bedankte sich artig und wurde mit einem scheuen Lächeln des Mädchens belohnt.
Inzwischen hatte sich die Schänke gefüllt, Bauern waren von den Feldern gekommen und wollten den Staub mit einem Becher Wein herunterspülen, Kaufleute, Handwerker und andere Männer suchten Erholung von den Strapazen des Tages. Andere Reisende warteten auf den Aufbruch in die nächtliche Wüste.
Der junge Mann aß die letzten Löffel der süßen Trauben, spülte sie mit dem klaren Wasser aus dem hauseigenen Brunnen hinunter und entzündete sich dann eine kleine, langstielige Pfeife, in der ein holzig – aromatisches Kraut brannte.
Draußen war bereits der Mond aufgegangen, die Sichel schien silbrig zum Fenster an seinem Tisch herein, als ein weiterer später Gast die Wirtschaft betrat. Und es war ein gar wunderlicher Bursche, der dort in der Eingangstür stand. Bei seinem Eintreten waren die Gespräche der anderen Gäste verstummt, nur die drei Söldner zechten und lachten weiter.
Der Wirt kam dem Neuankömmling entgegen und fragte ihn nach seinen Wünschen. Der Mann, der von kleiner, gedrungener Statur war, mit fleischigen Muskeln unter der ledernen Rüstung, kurzem Hals und feistem Stiernacken und der eine gewaltige, zweischneidige Axt trug, die ihn an Länge fast übertraf, blickte dem Wirt ins verquollene Gesicht.
„Ich bin Egdar Blutbeil“, sagte er mit unnatürlich fistelnder Stimme, „und ich begehre nicht mehr als etwas Fleisch, Brot und Wasser und ein Quartier für die Nacht.“
Brüllendes Gelächter antwortete ihm von Seiten der ungehobelten Krieger.
„Blutbeil“, kreischte der Bogenschütze, „ich wette, seine Axt hat bis heute nur sein eigenes Blut geschmeckt, wenn sie ihm aus der Hand auf die Füße gefallen ist!“
„Kann nicht sein“, versetzte der andere Strolch, „er kann sie bestimmt nicht so hoch heben, dass sie ihm auf die Füße fallen könnte!“
Die schmierigen Kreaturen und ihr barbarischer Lord erstickten fast am Lachanfall, der hierauf folgte. Der Neuankömmling runzelte kurz die Stirn, ignorierte die offenbar schwer Angetrunkenen dann jedoch. Nicht so aber der Bogenschütze, der, vom reichlich genossenen Wein und Uisge noch ermutigt, auf den sicher einen Kopf kleineren Mann zuging, der immer noch im Türbereich stand, und sich vor ihm aufbaute.
„Sag mir, mein Beilchen, welchem Riesen hast Du diese Streitaxt gestohlen, während er schlief? Und warum plagst du dich damit ab?“
„Herr“, antwortete der Ankömmling in höflichem Tonfall, „ich habe keine Geschäfte mit Euch, so bitte ich Euch für jetzt, mich nicht weiter zu behelligen!“
„Vielleicht“, versetzte der Angetrunkene aggressiv, „habe ich aber Geschäfte mit dir! Dass Du diese Streitaxt trägst, beleidigt meinen Sinn für Kriegerehre!“
Der Kleinere runzelte wieder kurz die Stirn, maß sein Gegenüber wie ein lästiges Insekt an der Wand und antwortete, jetzt überhaupt nicht mehr höflich: „Vielleicht schlaft Ihr erst Euren Rausch aus, ehe Ihr Eigenschaften für Euch in Anspruch nehmt, die Ihr nie besitzen könnt!“
„Was?“ brüllte der Bogenschütze und griff nach zweien seiner Wurfmesser. „Ich werde dir...“
Viel schneller als irgendjemand auch nur vermutet hätte schwang Egdar Blutbeil seine gewaltige Streitaxt und schmetterte dem anderen, der noch keines seiner Messer hatte ziehen können, das Blatt seiner Waffe seitlich gegen den Schädel, dass dieser umgeworfen wurde wie ein Grashalm von einem Steinschlag. Blut schoss aus einer großen Platzwunde, und sicherlich zwei Zähne wurden ihm ausgeschlagen, was er jedoch noch nicht bemerkte, da er so tief in eine Bewusstlosigkeit stürzte, dass sie dem Tode gleich schien.
„Ich hätte“, deklamierte der Kleine, „ihm auch den Kopf von den Schultern trennen können, den er eh nicht sinnvoll einzusetzen vermag! Noch einmal: ich will keinen Streit, aber beleidigen lasse ich mich nicht. Schon gar nicht von dreckigem Gesindel!“
Der Kumpan des Gefällten griff nach seinem Schwert, doch der Anführer, der sich selbst Lord nannte, hielt ihn zurück.
„Lass nur, Sieghard, Lemmen war schon immer ein Idiot, der sich vom Schnaps regieren ließ. Wir haben mit diesem Herrn“, und damit prostete er Blutbeil zu, „nichts zu hadern!“
In Tipecahoes Augen brannte jedoch eine Wut, die seine Worte Lügen strafte. Er wollte den Mann, der offenbar wesentlich gefährlicher war als er schien, nicht im Zustand des Rausches angehen. Später jedoch... Tipecahoe nahm sich vor, den Kleinen nicht schnell zu töten. Er gab Sieghard, dem Schwertträger, einen Wink, und der bemühte sich um seinen Gefährten, der immer noch wie tot am Boden lag. Er verband die Wunde und kühlte seinen Gefährten mit Wasser, das der Wirt ihm gereicht hatte, dann kam auch Lemmen, der Bogenschütze, wieder auf die Beine. Mit hasserfülltem Blick starrte dieser hinüber zu seinem Bezwinger...
Egdar Blutbeil hatte sich inzwischen in der Schänke umgesehen und nach einem Sitzplatz gesucht, aber alle fünf Tische waren bereits besetzt. Da erhob sich der junge Mann an der gegenüberliegenden Wand des Schankraums, der dort allein an seinem Tisch saß und eine Pfeife rauchte, und winkte ihn heran. Blutbeil folgte der Geste und ging zu ihm hinüber.
„Meister Blutbeil“, sagte der Rauchende, stand auf und verbeugte sich leicht, „wollt Ihr mir an meinem Tische Gesellschaft leisten? Hier ist Platz genug für zwei, und Eure Gesellschaft wäre mir eine Ehre!“
Der Axtträger erwiderte die Verbeugung.
„Ihr seid ein junger Herr von angenehmen Manieren. Ich freue mich, an Eurem Tisch mein Mahl zu mir zu nehmen und derweil Euren Erzählungen zu lauschen, wenn Ihr Abenteuer zu berichten wisst. Ansonsten ist mir Eure schweigsame Gesellschaft genau so lieb. Habt jedoch die Güte und nennt mir Euren Namen!“
Der junge Reisende rückte einen Stuhl für Blutbeil zurecht und antwortete: „Mein Name ist Dossakh el Djakar Sahir, und ich bin unterwegs in einer wichtigen Mission für meines Vaters Herzogtum, das sich hoch im Norden in Fosin im Lande Aik Gottas befindet. Gerne berichte ich Euch davon, wenn es Euch beliebt.“
„Dossakh el Djakar Sahir“, wiederholte Blutbeil langsam, „ein langer Name für einen jungen Mann. Ihr müsst aus wahrhaftig königlichem Geblüt stammen, doch das Land, das Ihr nanntet, kenne ich leider nicht.“
„Mein Land liegt viele Monatsritte von hier entfernt, Meister Blutbeil, direkt an der wilden Barriere der östlichen Gebirgszüge, und zwar an deren nördlichsten Gipfeln, die besonders schroff und hoch sind. Ich bin seit mehr als einem Jahr unterwegs.“
Er trank einige Schlucke aus seinem Becher.
„Was meinen Namen angeht, so ist er in der Tat sehr lang – zu lang für eine Konversation unter Reisenden. Wenn es Euch beliebt, so nennt mich getrost El Admadja, das ist ein Begriff aus meiner Muttersprache und bedeutet ‚der Sperber’.“
„Wohldenn, Herr Sperber“, sagte der Kleine und lehnte seine gewaltige Axt in bequemer Reichweite an die Wand, „womit kann ein müder Reisender in dieser Gastwirtschaft den Hunger stillen und den Staub eines langen Tages aus der Kehle spülen?“
Während Egdar Blutbeil sich satt aß und mit nicht zuviel Wein nachspülte, erzählte der Sperber ihm von einigen Abenteuern, die er im vergangenen Jahr auf seiner weiten Reise erlebt hatte. Nach dem Mahl erwiderte der Axtschwinger mit anderen Geschichten, derweil beide eine neue Pfeife mit El Admadjas Tabak anbrannten.
Um die elfte Stunde, nur der Wirt und seine Frau und die Söldner an der Theke hielten sich noch im Schankraum auf, verabschiedeten sich beide und gingen eine schmale Stiege hinauf, wo es zu den Gästequartieren ging. Egdar Blutbeil hatte einen Raum direkt neben Dossakh bezogen. Sie verabschiedeten sich und betraten ihre Zimmer. El Admadja fühlte eine leichte Nervosität in sich aufkommen, denn er erwartete Ärger mit den Kämpfern Tipecahoes und wohl auch direkt mit ihm, und so holte er aus einer Truhe, die am Fußende des einfachen Bettes stand, seine Waffen, zwei lange, schmale Krummsäbel und legte sie neben sich auf die Decke. In der Truhe lagen noch weitere Fellbündel, die Dossakh kurz prüfend anblickte, bevor er die Truhe wieder sorgfältig verschloss. Sodann fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Die Nacht lag wie ein zäher Schleier über Thoves und dem Gasthaus. Kein Mensch, von den wenigen Stadtwachen einmal abgesehen, die in der zunehmenden Kälte mürrisch ihre Runden zogen, wagte sich hinaus. Es gab auch nicht viel, was man hätte unternehmen können in dieser Stadt der Handwerker und Bauern. Ein kleines Bordell lag eine knappe Reitstunde außerhalb, weil die braven Bürger keine Huren in ihrer Stadt duldeten.

Sie hätten sie auch gar nicht bezahlen können.
Am östlichen Horizont zeigten sich die ersten Vorboten des neuen Tages, doch noch krähten nicht einmal die Hähne, als der Sperber aus seinen wirren Träumen, in denen es wie immer um rätselhafte Schwerter und den Einen ging, hochschreckte. Etwas passierte, das spürte der junge Mann, dessen Sinne durch mannigfache Gefahr während seiner Reise geschärft waren.
Da! Ein Geräusch wie ein Schlag, ein dumpfer Schmerzlaut, ein Fall. Und dann ein spitzer, kurzer Schrei einer Frau in höchster Not.
El Admadja knurrte, er hatte gewusst, dass es soweit kommen würde. Mit einem bitteren Fluch sprang er auf, schlüpfte in sein Lederwams und zog die Stiefel an. Dann ergriff er die Krummsäbel und verließ schnell den Raum. Auf dem engen Flur wäre er fast mit Egdar Blutbeil zusammengestoßen, der die Situation auch richtig eingeschätzt hatte. Die mächtige Axt lag unverständlich leicht in seinen Fäusten.
„Wo?“
„Unten, hinter der Theke.“
Die beiden Männer verständigten sich kurz, dann eilten sie hinunter in den Schankraum. Der Sperber hörte ein verdächtiges, knarrendes Geräusch und blieb abrupt stehen – ein Pfeil schoss klatschend von einer Bogensehne und bohrte sich mit einem bösartigen Krachen in die Balken der Treppe, dort, wo seine Brust gewesen wäre, hätte er nicht gestoppt.
Lemmen, der Bogenschütze.
„Komm nur herab“, hörten die Männer auf der Treppe den Heckenschützen zischen, „hier habe ich den Tod für Dich!“
„Der gehört mir!“
Mit diesem leisen Kampfruf drängte Egdar Blutbeil an Dossakh vorbei, der ihn aufhalten wollte, doch von unheimlicher Kraft, die man dem kleinen Krieger nie zugetraut hätte, zurückgedrückt wurde.
„Hast Du deine Sinne wieder beisammen, Mörderlein?“ höhnte er, die Axt in kreisenden Bewegungen vor sich haltend.
„Du!“ Lemmen lachte bösartig auf. „Wie schön von dir herabzukommen. Da muss ich nicht zu dir hinauf.“
Er spannte den Bogen, der eine ungeheure Zugkraft hatte. Der Sperber sah, wie der Pfeil von der Sehne raste und gab nichts um das Leben seines Gefährten. Wieder sah er sich in diesem äußerlich so merkwürdigen Kerl getäuscht. Blitzschnell hatte er seine Axt hochgerissen, und klirrend prallte der Pfeil von ihrem Blatt ab. Lemmen fluchte ungläubig und fingerte nach einem dritten Pfeil, doch schon hatte Blutbeil die knapp zehn Schritte bis zu dessen Standort überwunden, mit grausamen Zischen zerteilte die Schneide der Axt die Luft, zerteilte den Bogen, zerteilte Lemmens rechten Arm und fuhr ihm in den Körper, der beinahe in der Mitte durchgehackt wurde. Mit einem entmenschten Röcheln fiel Lemmen zu Boden, er war tot, ehe der blutspritzende Korpus auf dem Bretterboden lag.
Es blieb nicht die Zeit, sich über die Kraftreserven des kleinen Kriegers zu wundern, der Sperber und Blutbeil stürmten an der Theke vorbei in die hinteren Zimmer, wo sie die Wohnräume der Wirtsfamilie wussten. Im kleinen Flur, von dem es auch abwärts zum Vorratskeller ging, lag der blutüberströmte Körper des Wirtes, der böse Kopfverletzungen davon getragen hatte bei der Verteidigung seiner Angehörigen. El Admadja knurrte wütend auf, als aus den Schatten des Flures Sieghard hervortrat, sein Schwert blank gezogen. Mit einem kurzem Blick verständigten sich der Axtträger und sein Kampfgenosse: dies war Sperbers Gegner. Egdar Blutbeil wandte sich der Kammer der Wirtstochter zu, aus der gedämpfte Schreie und grobes Lachen erklangen. Unter seiner Axt zersplitterte die Verriegelung, und er sprang in den Raum.
Währenddessen hatte sich Sieghard, das Schwert und einen langen Dolch in den Fäusten, auf El Admadja gestürzt, der ihn mit erhobenen Säbeln erwartete. Blitzschnell stießen die Klingen des Söldners vor – und wurden ebenso schnell pariert. Mit hellem Klingen traf Stahl immer wieder auf Stahl. Sieghard war ein geübter Kämpfer, gedrillt in mancher Schlacht, und sein Gegner war jung und wohl entsprechend unerfahren.
Jung war der Sperber, aber unerfahren? Nicht im Geringsten!

Als Sohn eines Königs hatte er die Kunst des Waffengangs seit frühester Kindheit geübt, und der Umgang mit den Krummsäbeln wurde meisterlich von ihm beherrscht. Das musste sein Gegner erfahren, der fluchend zurückwich, keine Finte, kein kraftvoller Stoß drangen durch die Verteidigung des jungen Mannes. Ganz im Gegenteil, seine Säbel webten ein schimmerndes Netz des Todes um den Soldaten, der bereits aus mehreren Schnittwunden blutete.
Schwerer Kampflärm drang auch aus der Kammer des Mädchens, und der Sperber fürchtete um seinen Gefährten Blutbeil. Deswegen musste er diesem Gefecht ein schnelles Ende machen. Eine plötzliche Attacke gegen die Beine des Gegners, der völlig überrascht war und zurücktaumelte, dann führte El Admadja einen schnellen Stoß gegen den Schwertarm, die Schneide des Säbels drang tief in den Unterarm seines Feindes, dessen Waffe zu Boden polterte. Im selben Moment wischte der andere Säbel den Dolch zur Seite, und die Spitze der blutgesprenkelten Klinge drang dem Söldner von unten in den Bauch. Sieghard heulte kurz auf, dann traf ihn der zweite Säbel ins Herz.
Der Sperber riss die Waffen aus den Wunden und stürzte in das Zimmer. Dort schwangen Blutbeil und Tipecahoe ihre schweren Waffen gegeneinander. Der kleine Raum jedoch verhinderte, dass Schlachtbeil und Breitschwert richtig zur Geltung kommen konnten, es war einfach nicht genug Platz. Der grobschlächtige Söldner wurde durch den zweiten Angreifer kurz abgelenkt und konnte Blutbeils wuchtigen Hieb nicht völlig abwehren, er verlor für einen Moment das Gleichgewicht. Sein gewaltiges Schwert verhinderte seinen Tod, denn die Schneide der Axt prallte klirrend davon ab. Beide Kämpfer taumelten. In diesem Raum, das wurde Dossakh klar, konnte dieser Kampf nicht entschieden werden. Auch waren seine Säbel nicht geeignet, dem mächtigen Zweihänder Tippecahoes Paroli zu bieten.
„Haltet ihn Euch einen kurzen Moment vom Hals, Meister Blutbeil!“ rief der Sperber dem Axttträger zu und war schon wieder hinaus aus der Kammer.
„Ha!“ hörte er den Spott des Barbarenkriegers, „ein feiger Hund!“ Dann klirrte wieder Stahl auf Stahl. El Admadja hetzte durch den Schankraum, die Treppe hinauf und in sein Zimmer, warf die blutigen Säbel achtlos in die Ecke und öffnete hastig die Truhe vor seinem Bett. Er nahm ein Stoffbündel heraus und war schon wieder auf dem Weg nach unten. Von dort war ein krachendes Geräusch zu vernehmen, und der junge Mann befürchtete das Schlimmste für das Leben des Axtkämpfers. Da war die Kammer des Mädchens, und alle Vorsicht außer Acht lassend hechtete er in den Raum hinein. Nur die Wirtstochter lag schluchzend in einer Ecke. Das Fenster war samt seiner Fellbespannung aus dem Rahmen gebrochen, und im Zwielicht des beginnenden Tages sah El Admadja die beiden Kämpfer, die sich auf dem Hof lauernd umkreisten. Hier konnte Tippecahoe die enorme Reichweite seines Zweihänders richtig ausnutzen, und Egdar Blutbeil hielt sich, von seiner großen Axt gedeckt, in respektvollem Abstand. Beide Streiter bluteten aus mehreren Wunden, wie gefährlich sie waren, vermochte der junge Reisende nicht abzuschätzen.
Dossakh sprang ebenfalls durch das Fenster hinaus auf den Hof.
„Siehe da, der Feigling ist zurückgekehrt. Komm, mein Schwert giert nach deinem Blut!“
„Lasst mich zu ihm, Herr Blutbeil!“ rief Dossakh dem Axtkämpfer zu und zog ein Schwert aus dem Stoffbündel.
Und was für ein Schwert das war! Es sah aus wie aus stumpfem Holz geschnitzt und war eigenartig konturlos, als existiere es nicht wirklich.
Der große Söldner lachte dreckig.
„Ein Holzschwert! Ihr denkt wohl, das hier ist eine Übung. Ihr seid nicht nur feige, sondern auch noch wahnsinnig!“
„Kämpft mit dem Schwert, Barbar, nicht mit dem Maul!“, konterte der junge Mann grimmig. Dann sprang er vor. Blutbeil starrte mit schreckgeweiteten Augen auf seinen Gefährten, der, das war sicher, des Todes war. Was dachte er sich nur?
Tippecahoe schwang johlend sein riesiges Schwert, und der Sperber hielt die Klinge dagegen, die im bleichen Licht mehr wie eine bloße Silhouette wirkte denn wie harter Stahl. Als die Schneiden der beiden Waffen aufeinander trafen, geschah etwas Unglaubliches. Mit einem Geräusch wie klirrendes Glas zersplitterte die Klinge des Zweihänders an der schemenhaften Waffe, und kleine Bruchstücke stieben umher wie ein Stahlregen. Das Schwert Dossakhs hingegen war unversehrt!
„Welch üble Zauberei ist das?“ keuchte Tippecahoe und blickte entzetzt auf den Rest der Klinge in seiner Hand.
„Zauberei ja“, versetzte El Admadja, „aber nur Ihr seid von Übel!“
Der Söldner wich zurück Richtung Stall, und der Sperber sprang ihm hinterher. Wieder trafen die Schwerter aufeinander, und wieder platzte ein gutes Stück des Zweihänders ab, so dass Tippecahoe nur noch wenig mehr als das Heft seiner Waffe blieb. Er knurrte wütend und schleuderte den Schwertgriff nach dem jungen Kämpfer, der dem wirbelnden Metall leichtfüßig auswich. Der Söldner warf sich herum und rannte in den Stall, wo er sein Pferd und weitere Waffen wusste. Dossakh folgte ihm mit gemäßigten Schritten in den großen Schuppen, wo die Tiere der Reisenden untergebracht waren. Ihm wiederum war Blutbeil auf den Fersen, der sich schwer auf seine Axt stützte. Er war wohl schlimmer verletzt, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.
Tippecahoe hatte einen runden Schild von seinem Sattel gerissen, der neben seinem Pferd, einem riesigen Rappen, lag, und eine kurzstielige Keule, bewehrt mit scharfen Nägeln.
„Komm, du Hund!“ keuchte er.
El Admadja trat langsam näher. Es war Zeit, den Kampf zu beenden.
Mit einem unmenschlichen Schrei stürmte der Södner vorwärts, deckte sich mit dem Schild und schwang die furchtbare Keule. Der Sperber hob sein verzaubertes Schwert. Matt und schartenlos glänzte die Hiebwaffe. Auch die Keule wurde von der magischen Schneide durchtrennt, und wieder stoben kleine Splitter durch die Luft. Dann ein schneller Schritt, Dossakh stieß sein Schwert nach vorne. Tippecahoe hob den Schild und griff nach dem schmalen Dolch, den er noch am Gürtel trug. Die magische Klinge fuhr ohne Mühe durch den stählernen Schild und traf den Söldner in die Kehle. Helles Blut spritzte hervor, welches das Schwert jedoch nicht benetzte. Ein weiteres Wunder, während Tippecahoe, im Todeskampf röchelnd, in die Knie brach. Dann war plötzlich Egdar Blutbeil zur Stelle, seine Axt sauste durch die Luft und trennte dem Barbaren den Kopf von den Schultern.
Blutbeils Wunde war ein tiefer Schnitt unter der letzten Rippe, auf die er jetzt seine Hand presste. Obwohl die Verletzung sicher schmerzhaft war, verzog der Krieger mit der gewaltigen Axt keine Miene.
Dossakh el Djakar Sahir war selbst bis auf zwei oberflächliche Kratzer unversehrt und kümmerte sich zunächst um den Wirt, dessen Blessuren nicht so ernst waren, wie sie zunächst angemutet hatten. Mit Hilfe der Wirtsfrau, die sich jetzt aus ihrem Versteck traute, wusch und verband der Sperber die Platzwunden. Zwei davon mussten genäht werden, das erledigte die Ehefrau. Inzwischen hatte sich die Tochter ein wenig von ihrem Schock erholt. Ihr war nichts geschehen, Blutbeil war in den Raum eingebrochen, noch ehe der Söldner sie schänden konnte. Jetzt bemühte sie sich um die Verwundung des Kleinen. Es stellte sich heraus, dass keine Organe verletzt waren. Eine Stunde später waren alle wieder soweit auf den Beinen. Nur die Söldner würden diesen Ort nicht mehr verlassen. Ihre Leichen wurden in einem nahen Schuppen aufgebahrt und sollten noch an diesem Tag am Rande der Wüste verscharrt werden, so verfügte der Kommandant der Stadtwache, der alarmiert worden, aber natürlich zu spät erschienen war.

Die Pferde und einige Waffen wurden von der Stadtwache konfisziert, die sonstige Habe der Mörder jedoch sollte zwischen dem Gastwirt und seinen Helfern aufgeteilt werden.

Egdar Blutbeil wählte für sich den Gurt mit den Wurfmessern, während Dossakh el Djakar Sahir auf einen Anteil verzichtete. So wurde der Wirt für den ihm entstandenen Schaden mehr als abgefunden.
„Ihr habt gut gekämpft, Herr Sperber“, sagte Blutbeil dann, als beide Krieger sich bei einem Becher Wein zusammen gesetzt hatten. „und was ist das für ein unfassliches Schwert, das Ihr da geführt habt?“
„Und Ihr“, erwiderte Dossakh, ohne auf die Frage einzugehen, „Herr Blutbeil, seid ein wahrhaft großer Krieger!“
Egdar Blutbeil lachte leise ob der Anspielung. Dass er keine Antwort bekommen hatte, nahm er offenbar nicht übel.
„Wie, wenn ich fragen darf“, fuhr der junge Mann fort, „sind Eure weiteren Pläne?“
„Ich werde wohl einige Tage hier bleiben und meine Wunde auskurieren. Dann will ich die Wüste durchqueren.“
„Habt Ihr ein festes Ziel?“
Blutbeil nahm einen tiefen Schluck von dem kräftigen Wein und stöhnte behaglich.
„Nein, Herr Sperber“, antwortete er dann, „ich werde sehen, wann und wo meine Waffe und ich den Menschen nützlich sein können. Dort werde ich mich dann so lange aufhalten, wie es nötig ist.“
Dossakh runzelte ein wenig die Stirn.
„So seid Ihr ein Söldner?“
„Ihr sagt das so, als sei etwas verwerfliches an diesem Stand.“
„Vergebt mir, Herr Blutbeil, aber die meisten Söldner, die mir begegnet sind, taugten nicht viel. Es waren bessere Strauchdiebe.“
Der Axtkämpfer stellte seinen Pokal mit einem harten Schwung auf dem Tisch ab, so dass der verbleibende Wein aus dem Behältnis spritzte.
„Ihr habt an meiner Seite gekämpft, Herr“, sagte er dann mit schroffer Stimme, „haltet Ihr mich hiernach für einen Strauchdieb?“
Der Mann, der sich nach einem kleinen Raubvogel nennen ließ, merkte, dass er zu weit gegangen war. Er hatte nach einer kurzen Nacht und einem harten Kampf unüberlegt gesprochen.
„Herr Blutbeil“, wandte er sich deshalb an sein Gegenüber, „lasst mich Euch mit einem Angebot antworten! Wollt Ihr mit mir reisen auf einer abenteuerlichen und gefährlichen Mission? Wollt Ihr mein Kamerad im Kampf und mein Freund im Frieden sein? Wollt Ihr überdies einen guten Lohn empfangen für Eure Dienste an meiner Seite?“

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Ende des Auszugs

 


 
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