Shroud - überall und nirgends
Heraus aus dem Auge des Sturms
Immer ich.
Immer passiert mir so eine Scheiße.
Dabei hatte der Tag so schön angefangen, ich war von blitzenden Sonnenstrahlen geweckt worden, hatte geduscht und gut gefrühstückt - ich hatte mir Sereal, Rashers, Rührei, frisches Brownbread mit Whiskymarmelade auf gesalzener Butter gemacht, dazu starken Tee mit Milch und Blaubeermuffins - und war rundum zufrieden in den milden Frühlingstag hinausspaziert.
Zuerst hatte ich bei Wong's die chinesischen Gewürze, Saucen und Pflaumenwein für die Party am Wochenende abgeholt, und dann war ich zu Albert`s Market gegangen, um das Stangenbrot zu bestellen, das Bratenfleisch und das Ale. Nur bei Albert gab es Kilian's Red Ale in Fässern, sündhaft teuer, aber ich gönnte es mir ja auch nur zu besonderen Anlässen.
Mein Geburtstag am kommenden Wochenende war ein solcher Anlaß, wie ich mich von einigen Freunden hatte überreden lassen.
Das hatte ich nun davon.
Jetzt hockte ich hier, eingekeilt in Albert's Käsetheke, links vom Schimmelkäse und rechts vom entsetzlich stinkenden Harzer, musste damit kämpfen, mich nicht zu übergeben - ich hasse Käse!! - und hatte überdies diese schießwütigen Idioten auf dem Hals.
Immer ich.
*
Vor etwa zehn Minuten waren sie hier hereingestürmt, ein Mann und eine Frau, beide in Jeans, Pullovern und Springerstiefeln, die Gesichter von Strumpfmasken unkenntlich gemacht. Der Mann hatte ein Gewehr im Anschlag, eine Pump Action, fünfschüssig, geladen mit Nullnull - Schrot, die Frau trug eine Uzi. Sie waren auf der Flucht, hatten irgendwo einen Bruch gemacht und waren überrascht worden. Und dann kam der Polizist, ein junger Kerl, mutig und dumm, und war genau in eine Feuersalve von den beiden gelaufen. Was von ihm übrig war, war jetzt halb über den Fußboden, das zerbrochene Schaufenster und halb über den Straßenbelag davor verteilt. Die Frau hatte gelacht.
Diese Miststücke.
Albert und seine Frau hatten außer mir noch sechs Kunden in dem kleinen, verwinkelten Spezialitätengeschäft gehabt. Sie alle waren jetzt in der Hand der Gangster, Geiseln in höchster Lebensgefahr, ausgeliefert zwei blutdurstigen Spinnern.
Ich hatte gerade noch in die Käsetheke springen können, und bisher hatte Albert sich nicht an mich erinnert. Ich hoffte, das würde auch so bleiben, denn ich rechnete nicht damit, dass Albert, der gute alte Albert, so kaltblütig war, mich den Gangstern einfach zu verschweigen. Bereitwillig hatte er seine Frau im Hinterzimmer verraten und das Geld aus seiner Kasse ausgehändigt.
Ich konnte ihn ja verstehen.
Ich lag also mitten in der Scheiße - einige Sorten Schmierkäse hatten sich mit meiner Jacke und meiner Hose vermählt, mir war entsetzlich übel, und ich hatte eine Stinkwut. Draußen versammelte sich gerade die Special Squad und machte die Killer bloß noch nervöser. Ich prüfte meine Armierung. Seit langem hatte ich mir angewöhnt, nur noch bewaffnet das Haus zu verlassen. Als Privatdetektiv hatte ich entsprechende Erfahrungen am eigenen Leibe machen müssen...
Ich hatte meine Sig Sauer, eine fünfzehnschüssige Automatik, Kaliber 38, dazu zwei Ersatzmagazine und die kleine Larry LWS in der Jackentasche, geladen mit sechs Schuss kleinkalibrigem Schrot. Allein die Tussi mit der Uzi war mir haushoch überlegen, was die Feuergeschwindigkeit anbelangte, von dem Kerl mit der Schrotflinte ganz zu schweigen, die meinen Körper mit ihrer Munition bequem in Pizzabelag verwandeln konnte. Ich dachte an den jungen Polizisten und fühlte kalten Zorn in mir vibrieren. Im Grunde hatte ich kaum eine Chance, alle beide auf einmal unschädlich zu machen, dazu war meine Feuerkraft einfach zu gering. Wehmütig dachte ich an die Mossberg Flinte, die zu Hause im Waffenschank hing, eine Pump - Gun, sechs Schuss, geladen mit Buckshot. Wenn ich wenigstens die zweite Sig hier gehabt hätte...
Das Leben in dieser Stadt war ein Krieg. Kriege schufen ihre eigene Rasse von Menschen. Ich war so ein Krieggeborener, entstanden durch diesen Krieg.
Ich wäre einmal fast getötet worden.
Ich hatte getötet.
Ich war nicht stolz darauf.
Immer wieder musste ich daran denken. Oh tempora, oh mores, hatten schon die alten Römer gesagt.
Heute war alles noch viel schlimmer.
Ich brauchte einen Plan.
*
Vorsichtig, lautlos beugte ich mich vor und blickte um die Ecke der Käsetheke nach vorne. Die Räuber hatten sich links und rechts vom Schaufenster, das bei den Schüssen auf den Polizisten zu Bruch gegangen war, verschanzt, die Waffen im Anschlag. Dazwischen, quasi direkt in der Schusslinie der Polizei, standen die Geiseln, eine lebende Schutzmauer.
Links stand die Frau, rechts der andere. Schwer zu sagen, welche Seite gefährlicher war. Draußen hatte das Einzatzkommando alles weiträumig abgesperrt, sie selbst waren hinter ihren gepanzerten Dienstfahrzeugen in Deckung gegangen. Oben auf den Dächern der gegenüberliegenden Häuser lagen bestimmt schon die Scharfschützen auf der Lauer, aber ihr einziges Ziel waren die Geiseln.
Ich hatte zwei Probleme.
Erstens: Wie schaffte ich es, die Mörder zu erledigen, bevor sie mich fertig machten oder die Geiseln was abbekamen?
Zweitens: Wie entging ich anschließend den Scharfschützen, die schließlich nicht wissen konnten, dass ich auf ihrer Seite war?
Verdammt!
Immer geriet ich in eine solche Scheißsituation.
Ich und Bruce Willis.
Ich musste beinahe grinsen; wäre mir doch nur nicht so schlecht gewesen!
Die Sig lag längst in meiner Rechten, gespannt und entsichert, die Larry hielt ich mit links umklammert. Noch ein Problem: Wie würden die Geiseln reagieren, wenn ich von hinten plötzlich das Feuer eröffnete?
Nein, so ging es nicht!
Ich musste mit einer Panik rechnen. Es waren einfache, harmlose Menschen, keine Soldaten. Ganz schön verrückt in einer Stadt, in der ein Krieg tobte, den niemand erklärt hatte.
Ich wog die Larry in der Hand: sie war für Schüsse aus größter Nähe konzipiert, aus zehn Metern verursachte der Schrot höchstens noch ein paar Prellungen. Ich war etwa sechs Meter von den Gangstern entfernt. Die Streuung war zu groß, ich hätte auch die Geiseln erwischt.
Mist!
Ich sicherte die Larry und schob sie zurück in die Jackentasche.
Also nur die Sig.
Ich überlegte, mit welcher Aussicht auf Erfolg ich auf zwei zu allem entschlossene Räuber, die bereits kaltblütig gemordet hatten, aus einer einzigen Waffe würde feuern können, bevor sie mich erwischten. Ich würde sie töten müssen. Töten, bevor sie mich töten konnten. Das Gesetz des Krieges.
Verfluchter Krieg!
Das Überraschungsmoment lag zwar auf meiner Seite, aber das verschaffte mir maximal zwei Sekunden, wenn ich viel Glück hatte und der Kerl und die Frau langsam reagierten.
Zwei tödliche Schüsse in zwei Sekunden auf zwei Ziele, die auch noch drei Meter auseinander lagen, dazwischen die Geiseln. Ich bin ein guter Schütze, habe viel trainiert. Die Sig habe ich mir von einem Büchsenmacher leicht modifizieren lassen, sie liegt jetzt perfekt in meiner Hand.
Nein, so ging es nicht!
Beim besten Willen konnte ich das nicht schaffen.
Es musste doch etwas anderes möglich sein. Ich zog mich zunächst zurück in den Käse, versuchte krampfhaft, nur durch den Mund zu atmen, damit mir nicht wirklich das Frühstück wieder begegnete, und überlegte.
Wenn ich die Aufmerksamkeit der Schufte in eine andere Richtung lenken konnte und sie dann von hier anging...
Ich sah mich um.
Albert hatte seinen guten Ruf unter anderem seinem großen Angebot feinster Spezialitäten aus -zig Ländern zu verdanken. In meiner unmittelbaren Reichweite befand sich ausschließlich Käse - nur gegen mich eine wirksame Waffe. Dann kam das Regal mit der italienischen Pasta, dann die französischen Knabbereien. Hinten in der Ecke dann das Weinregal, gefolgt vom Champagner.
Der Champagner...
Nur gute Marken, Moet et Chandon, Taittinger Blanc des Blancs...
Das müßte eigentlich gut knallen.
Was war das?
Das Einsatzkommando versuchte, über Megaphon mit den Geiselnehmern zu verhandeln.
Gute Jungs, sie verschafften mir eine Geräuschkulisse, vor der ich mich hoffentlich ungefährdet würde bewegen können. Ich erhob mich und ging sofort in die Hocke, mit der Waffe sichernd blickte ich um die Ecke der Käsetheke. Jeder dort vorne achtete aufmerksam auf alles, was draußen vor sich ging.
Gut. Sie ahnten nichts vom Tod in ihrem Rücken.
Ich überprüfte die Sohlen meiner Sportschuhe: sie waren sauber. Ich hätte denen eine schöne Schlitternummer aufs Parkett gelegt, hätte auch dort Käse geklebt...
So leise und schnell wie möglich huschte ich zum Champagner, klaubte zwei Flaschen, nahm sie so an den Hälsen, dass sie nicht zusammenklirren konnten, und machte, dass ich zurück in mein Versteck kam.
Wenn ich die Flaschen gut geschüttelt gegenüber an die Wand werfen könnte, wo sie hoffentlich lautstark auseinanderplatzten, wenn dann die Killer herumfuhren und dorthin zu schießen begannen...
Langsam bildete sich der Plan in meinem Kopf.
Hoffentlich drehten die Scharfschützen nicht durch, wenn hier der Zauber losging.
Warum versteckte ich mich eigentlich nicht im Käse und wartete auf das Ende, das unzweifelhaft bald durch einen Sturm auf den Laden kommen würde?
Nein, so ging es nicht!
Zu viele unschuldige Leben konnten dabei verloren gehen. Sie waren nicht für diesen Krieg gemacht Ich war der einzige Krieger in diesem Kampf der Brutalen gegen die Unschuldigen.
Warum immer ich?
Ich atmete tief durch - Gott, wie das stank! - spannte meine Muskeln...
...und dann...
Heraus aus dem Auge des Sturms!
Ende