Ein Traum aus Licht, ein Traum aus Feuer

Science Fiction Roman

LESEPROBE

Kapitel 7

 

„Gouverneur Zaaterman an Kommandant Wolfsson. Sie haben Befehl das Feindschiff zu zerstören! Führen Sie Ihren Befehl endlich aus!“
Robin Charles Wolfsson starrte wütend auf das dreidimensionale Holo - Abbild des planetaren Administrators. Auch seiner Stimme war seine Verärgerung anzumerken.
„Die Kommandoentscheidungen an Bord meines Schiffes treffe immer noch ich, Gouverneur!“ versetzte er schneidend. „PALADIN Ende!“
Der Kommunikationsholo erlosch. Auf der Brücke des Trägerschiffes herrschte abgesehen vom allgegenwärtigen Summen laufender Aggregate beklemmende Stille.
„Mister Ansgal“, wandte Wolfsson sich an den Funkoffizier, „haben Sie bitte die Güte, bis auf Weiteres die Kommunikationsversuche vom Planeten zu ignorieren!“
„Aye Sir!“
Der Star Master lehnte sich in den Kommandochair zurück, die Ellenbogen auf die Lehnen gestützt, die Hände an den Fingerspitzen zusammengelegt. So verharrte er mehr als eine Minute. Dann wandte er sich an Sarah MacHeath.
„Analyse, Commander!“
Im Simulationsfeld des großen Brückenholos wurden die Resultate der Scannerabtastungen grafisch aufbereitet. Die PALADIN stand im System einer gelben Sonne vom Soltyp, die von fünf Planeten umkreist wurde. Nur Nummer zwei kreiste in der Geosphäre und wies Bedingungen auf, unter denen ein Mensch überleben konnte. Auf dieser Welt gab es eine Kolonie, die bereits vor Jahrhunderten von Mitgliedern einer neocalvinistischen Sekte begründet worden war und die nur lose diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zum Heimatsystem aller Menschen aufrechterhielt. Die Konföderation Badree war bewusst agrarisch verfasst, die Siedler lehnten die gängige Hochtechnisierung aus religiösen Motiven ab. Den Schutz der neuen Heimat hatte man der Solaren Flotte und ihren Raumschiffen überlassen. Da der Planet Badree außer seinem guten Ackerland kaum Werte besaß, waren die religiösen Eiferer dort immer unbehelligt geblieben. Den Schutz erkaufte man sich mit hochwertigen Agrarprodukten, die die Siedler der Solaren Union zu günstigen Preisen verkauften.
Die Politik der Union hatte von jeher die Sicherheit aller Siedler menschlichen Ursprungs garantiert, es sei denn, die Kolonisten hatten dies - wie zum Beispiel die Independent Fueler - einmütig abgelehnt.
„Die PALADIN steht auf der Bahn des vierten Planeten in relativer Opposition zu Badree“, führte die erste Offizierin sachlich aus. „Das Raumschiff der Dudennser fliegt in das System ein, Geschwindigkeit nullkommaeins Prozent Unterlicht, direkter Kurs auf die Konföderationswelt. Bei gleichbleibendem Kurs und Tempo erreicht das Schiff den Planeten in sechsundzwanzig Standardstunden. Der Abstand zur PALADIN beträgt bei gleich bleibender Geschwindigkeit vier Stunden.“
„Sechsundzwanzig Stunden“, überlegte Wolfsson, „die Kolonisten sind aber sehr nervös. Wie ist der Zustand des Dudennserschiffes?“
„Es ist ein Wunder, dass es überhaupt noch einen Kurs halten kann, Sir. Die Integrität der Zellenstruktur liegt bei fünfzehn Prozent, das Schiff verfügt über keinerlei Schutzschirme, nicht mal ein Abwehrfeld gegen kosmische Staubpartikel. Die Scanner messen mehrere Strahlungslecks in der Maschinensektion im Heck. Weite Teile der Zelle dürften radioaktiv verseucht sein. Die produzierte Energie reicht gerade noch zur Aufrechterhaltung von künstlicher Gravitation und Lufterneuerung. Weiter als bis zum Planeten fliegt das Schiff garantiert nicht mehr, Sir.“
„Danke, Eins Exec.“ Der Kommandant wandte sich an den Feuerleitstand. „Taktische Analyse, Eins Gunner!“
Commander Domingo Sabbado spielte zusätzliche Daten in die Darstellung des Holos ein.
„Das Schiff der Dudennser“, sagte er mit dem für ihn typischen portugiesischen Dialekt, „stellt keinerlei Bedrohung für die PALADIN dar, Star Master. Seine Bewaffnung besteht aus fünf völlig veralteten Impacttorpedowerfern mit konventionellen Gefechtsköpfen, die bestenfalls unsere Navigationsschilde durchschlagen könnten. Jeder Treffer unserer Waffensysteme würde selbst bei kleinster Kalibrierung zur völligen Zerstörung der Einheit führen. Wahrscheinlich würde es reichen, wenn wir es mit voll aktivierten Schilden rammen. Ich bin sogar überzeugt, dass ein einziger Hawk das Schiff vernichten könnte.“
'Und trotzdem will die Regierung von Badree, dass wir die dudennsische Einheit vernichten', dachte Wolfsson, und die Gedanken fachten seine Wut wieder an. Die PALADIN hatte den Auftrag erhalten, die Konföderation Badree vor gefährlichen Terroristen zu beschützen. Dabei war der Einsatz tödlicher Mittel durchaus vorgesehen. Die Situation vor Ort stellte sich nun gänzlich anders dar. Star Master Wolfsson weigerte sich, ein Raumfahrzeug zu zerstören, das in seinen Augen keinerlei Bedrohung darstellte. Aufgrund der Situationsanalyse traf er seine Entscheidung.
„Eins Exec, schleusen Sie eine Jägerstaffel aus, die das Schiff der Dudennser eskortiert und bewacht. Der Staffelkommandant soll versuchen, über Funk mit den Schiffsinsassen Kontakt aufzunehmen.“
Dies war bisher noch nicht gelungen. Der Cheffunker vermutete, dass der Grund hierfür einfach eine zu geringe Leistung der Anlagen der Dudennser war.
„Dann setzen Sie Kurs auf Badree. Bringen Sie die PALADIN in einen Standardorbit. Ich möchte mich mit Gouverneur Zaaterman persönlich unterhalten.“
„Aye Sir“, bestätigte MacHeath und gab die erforderlichen Befehle. Zehn Minuten später schossen fünfzehn Hawks unter dem Kommando von Gordon McNaught aus den Hangars des Trägerschiffs und rasten mit Vollschub dem schrottreifen Schiff entgegen. Die PALADIN nahm Fahrt auf und näherte sich mit hoher Beschleunigung der Kolonistenwelt.
„Kommandobrigg ist klar zum Ablegen, Star Master“, meldete MacHeath. „Wünsche Sie eine Eskorte durch eine Roninstaffel, Sir?“
Wolfsson überlegte einige Sekunden, dann gestattete er sich ein kleines Lächeln.
„Veranlassen Sie eine Eskorte für die Brigg durch die Roninstaffeln eins und zwei sowie die Hawkstaffel zwei! Verschaffen wir der planetaren Administration einen eindrucksvollen Einblick in die Fähigkeiten dieser Einheit.“
Sarah MacHeath blickte den Kommandanten verwundert an. Der Landeanflug von über dreißig Beibooten der PALADIN musste ein überwältigendes Schauspiel auf Badree bieten, der Welt, die nach eigener Definition nichts von moderner Technik hielt. Dann glaubte die Eins Exec, das psychologische Moment hinter Wolfssons Vorgehensweise zu durchschauen.
„Aye Sir. Hoffentlich bekommt Gouverneur Zaaterman keinen Herzinfarkt!“
Dreißig Minuten später sank die diskusförmige Brigg langsam in die Atmosphäre des Planeten Badree. Die sechzehn Ronin - Zerstörer hatten sich in Gruppen zu vier Schiffen formiert und flankierten den Abstieg der Brigg, während die Hawks mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit , die Stummelflügel voll entfaltet, den Luftraum über der Hauptstadt durchschnitten.
Auf dem Kom - Holo konnte Wolfsson sehen, wie Gouverneur Zaaterman schmerzhaft das Gesicht verzog, als mitten in seine Schimpftirade die Überschallknalle krachten. Der Star Master verzog keine Miene, obwohl er wusste, welch verheerender Lärm dort unten tobte. Der Kommunikator filterte den Krach auf seiner Seite heraus.
Sanft setzte die Kommandobrigg auf dem kleinen Flugfeld auf. Die Zerstörer hingen einhundert Meter über der Brigg in einer ringförmigen Formation, die Stückpforten aus geliertem Stahl geöffnet, die Geschützläufe unübersehbar. Die Konföderation Badree hatte sich nicht bereit erklärt, für die Solaren Einheiten ein angemessen großes Landefeld zur Verfügung zu stellen. Größere Schiffe wie etwa die Lebensmitteltransporter konnten nur in einem versteppten Gebiet außerhalb der Hauptstadt landen.
Commander MacHeath, die die Brigg selber geflogen hatte, deaktivierte die Triebwerke. Gleichzeitig zogen sich die Jäger in die oberen Schichten der Atmosphäre zurück. Der Anblick, der sich den Konföderierten jetzt bot, war mindestens so unheimlich wie die brüllenden Phantome, die man kaum sehen, dafür aber unmöglich überhören konnte: Lautlos hingen die Diskusschiffe ohne Fahrt in der Luft, ein imposanter Anblick, nicht nur der drohenden Waffenprojektoren wegen.
Langsam glitt die Schleuse des Transportschiffes auf, und Wolfsson und MacHeath stiegen aus. Dass niemand gekommen war, um sie zu begrüßen, verwunderte den Star Master nicht.
Das Wetter war gut, die Sonne schien angenehm warm vom blauen Himmel, und ein leichter Wind umschmeichelte die Haut der Offiziere mit dem Duft von Blumen und Kräutern.
Der Palast des Gouverneurs lag direkt neben dem Flugfeld, es war eine Ansammlung von fünf steinernen Kuppeln, alle unterschiedlich groß, die sich um einen schlanken, minaretthaften Turm gruppierten.
Zwei Wächter mit altertümlichen Projektilwaffen salutierten am Eingang der Hauptkuppel. Ein Blick in ihre Gesichter verriet ihre tiefe Verunsicherung. Wolfsson fühlte beinahe ein wenig Mitleid mit den Soldaten. Sie konnten ja nichts für den Starrsinn der Administration.
Der Empfangssaal des Gouverneurs lag im geometrischen Zentrum der Kuppel und war mit Gemälden und Teppichen und Goldschmiedekunst reich geschmückt.
„Das wird ein Nachspiel haben, Star Master, das schwöre ich Ihnen!“
Zaaterman war ein stattlicher Mann von rund siebzig Jahren mit dichtem, schwarzen Haar und dem für diese Welt traditionellen langen Spitzbart in dem pausbäckigen Gesicht.
„Star Master Robin Charles Wolfsson, Kommandant des Trägerschlachtschiffs PALADIN“, erwiderte der Raumoffizier ruhig, ohne auf die Drohung einzugehen. „Mein Executive Officer, Commander Sarah MacHeath.”
Der Gouverneur unterdrückte mühsam seine offensichtliche Wut und stand auf. Gemessenen Schrittes und ohne ein Wort zu sagen, ging er mehrmals um die Besucher der Solaren Flotte herum. Weder Wolfsson noch MacHeath rührten sich.
„Ich stelle fest“, begann Gouverneur Zaaterman mit gefährlich leiser Stimme, „dass Sie Ihre Befehle, die direkt vom Rat der Solarkommandanten kommen, missachtet haben. Ihr Befehl lautete, das anfliegende Feindschiff zu stellen und zu zerstören. Stattdessen fliegt das feindliche Schiff immer noch auf unsere Welt zu.“
Der Administrator der Konföderation Badree machte eine dramatische Pause. Dann fuhr er fort: „Für diese Befehlsverweigerung werde ich Sie zur Verantwortung ziehen!“
„Ihre Feststellung“, erwiderte der Star Master unmittelbar, „interessiert mich nicht im geringsten, Gouverneur!“ Wolfssons Stimme war kalt wie Eis. „Meine Befehle besagen, dass Ihr Planet von einem Schiff mit gefährlichen Terroristen angegriffen wird. Vor diesen Terroristen soll ich Sie schützen. Die Situation, die ich hier vor Ort antreffe, ist aber eine gänzlich andere. Die PALADIN ist das modernste und schlagkräftigste Schiff der Solaren Flotte, und unser Gegner stellt sich als schrottreifer Transporter ohne Schutzschilde und mit vernachlässigbarer Bewaffnung heraus. Eines meiner Beiboote könnte dieses Schiff zerstören. Darüber hinaus...“
„Es spielt keine Rolle, in welchem Zustand das Feindschiff ist!“ unterbrach ihn Zaaterman, „Ihre Befehle sind klar und eindeutig!“
Wolfsson spürte, wie die Wut abermals in ihm hochkochte. Dennoch beherrschte er sich.
„Als Kommandant eines Kriegsschiffes trage allein ich die Verantwortung für alle Aktionen von Schiff und Besatzung. Wenn ich einen Befehl erhalte, enthebt mich das nicht meiner Pflicht, die Situation vor Ort zu verifizieren. Die Raumschiffe der Solaren Flotte pflegen nicht blindlings das Feuer zu eröffnen. Insofern bin ich vollends in meinen Rechten, die Situation am Einsatzort zu analysieren und zu interpretieren. Sie hingegen, Sir“, er spie diese Anrede förmlich aus, „haben mir gegenüber keinerlei direkte Befehlsgewalt! Wenn Sie sich weiterhin anmaßen, mir in meine Kommandoentscheidungen hineinzureden, werde ich mein Schiff von hier abziehen und Sie schutzlos vor wem auch immer zurücklassen!“
Gouverneur Zaaterman schien einzusehen, dass er nicht in der Position war, diesen Kommandanten einzuschüchtern. Also änderte er als geübter Politiker seine Strategie.
„Star Master“, begann er, und diesmal klang seine Stimme beinahe höflich, „wir hätten die Union nicht um militärische Hilfe gebeten, wenn unsere Lage nicht verzweifelt wäre. Ich werde Ihnen gerne die Situation erläutern, damit auch Sie sie nachvollziehen können. Nehmen Sie doch bitte Platz!“
Wolfsson entschied sich, die kleine Spitze zu überhören, er und die Eins Exec setzten sich auf Polsterstühle, die irgendwie viel zu weich waren.
„Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen lassen?“
Beide Offiziere lehnten ab.
„Gut. Hier sind die Fakten. Die Dudennser, wie sich die Terroristen selber nennen, sind Abtrünnige unserer Gesellschaft. Sie unterwerfen sich nicht den strengen religiösen und moralischen Kodizes unserer Welt. Sie wollen nicht als Landmänner arbeiten, nicht ihre Erträge in ehrlicher Arbeit verdienen, nein, sie sind Anhänger der Technologie und wollen unsere Gemeinschaft verändern - gegen den erklärten Willen der Mehrheit unserer Konföderation. Es sind destruktive Elemente. Wir haben ihnen freigestellt, Badree zu verlassen, wenn sie hier nicht glücklich werden. Das haben sie auch getan. Offensichtlich ohne Erfolg. Dass sie jetzt zurückkehren, ist eine Katastrophe für mein Volk.“
Star Master Wolfsson wechselte einen schnellen Blick mit MacHeath.
„Ich verstehe Ihre Situation, Gouverneur Zaaterman“, antwortete er dann. „Aber auch Sie können nicht verlangen, Rückkehrer – destruktive Elemente oder nicht – als Terroristen zu behandeln und trotz ihrer hoffnungslosen Lage - ihr Schiff steht buchstäblich vor dem Zerfall - abzuschießen.“
Der Administrator schüttelte den Kopf. In sein Gesicht hatten sich tiefe Sorgenfalten eingegraben.
„Sie verstehen keineswegs“, sagte er langsam mit einem beinahe verzweifelten Unterton, „es ist nicht die bloße Heimkehr der Dudennser. Das wäre zwar ärgerlich und würde das öffentliche Leben stören, aber das sind wir gewohnt. Hier gibt es öfter Querdenker als Sie sich vorstellen können. Unsere religiöse Gemeinschaft bringt ständig Menschen hervor, die meinen, die göttliche Weisheit gepachtet zu haben und unser System, das seit Jahrhunderten funktioniert, revolutionieren zu müssen. Von diesen Häretikern haben wir noch keinen umgebracht. Wir sind doch keine Barbaren!“
Erneut machte er eine Pause, diesmal jedoch schien er Kraft sammeln zu müssen, um das Unaussprechliche aussprechen zu können.
„Die Dudennser haben sich auf einer Randwelt mit einer tödlichen Viruserkrankung infiziert. Es handelt sich nach Aussage der Ärzte des Solaren Rates um das Morvan - Fieber. Die Krankheit ist langwierig, extrem ansteckend und endet immer tödlich.“
„Das Morvan - Fieber“, meldete sich Commander MacHeath zu Wort, „ich war beim Ausbruch dieser Epidemie vor sieben Jahren auf der Farout Station Bukabon in dem Sektor. Es gab keine Überlebenden, Sir. Glücklicherweise wurde die Station unter Quarantäne gestellt, kurz bevor wir dort andocken konnten.“
Auch Wolfsson kannte diese verheerende Krankheit, die ursprünglich auf genetische Experimente auf einer Laborwelt des Onxytenimperiums zurückging. Wo immer sie ausbrach, waren alle Versuche, die Infizierten zu retten, gescheitert. Das Virus schien die Fähigkeit zu haben, sich über längere Zeiträume einkapseln zu können, um dann erneut auszubrechen. Auf diese Weise konnte es überall eingeschleppt werden.
„Sind Sie absolut sicher, dass es sich um das Morvan - Fieber handelt, Gouverneur?“ Das Grauen schien auf den Star Master überzugreifen.
Zaaterman holte tief Luft.
„Leider ja. Im Imransystem wurde die Diagnose gestellt und von drei Ärzten bestätigt. Die dortige Hochsicherheitsklinik verfügt über einige der besten Mediziner der Union. Leider konnten die Dudennser dort nicht unter Quarantäne gestellt werden, sie sind geflohen.“
„Gut. Gehen wir davon aus, dass Ihre Informationen stimmen. Warum haben Sie davon nichts verlauten lassen, Gouverneur?“
„Verstrehen Sie doch, Star Master!“ Zaatermans Stimme illustrierte seine tiefe Verzweiflung. „Wir sind eine religiöse Gemeinschaft. Wenn bekannt wird, dass Mitglieder dieser Gemeinschaft an einer absolut tödlichen Krankheit leiden und diese hier einschleppen wollen, wird es heißen, es handele sich um ein Strafgericht Gottes. Leider sind viele unserer Einwohner fanatische Fatalisten, und Sektierer und  Weltuntergangspropheten würden die Menschen in ihren Bann ziehen, die öffentliche Ordnung würde zusammenbrechen. Es wäre das Ende unserer Zivilisation.“
Zaaterman hatte sich in seiner Erregung von seinem Stuhl erhoben, jetzt fiel er wie kraftlos wieder zurück.
„Ein Gerücht allein, nur ein kleines Gerücht über die Situation wäre gleichbedeutend mit einer Katastrophe biblischen Ausmaßes.“
Anstelle einer Antwort aktivierte Wolfsson sein Callimplantat.
„Wolfsson an PALADIN!“
„Hier PALADIN, Eins Radio, ich höre.“
„Haben Sie Kontakt mit der ersten Jägerstaffel?“
„Jawohl Sir. Commander McNaught meldet schwachen Funkkontakt mit dem anfliegenden Raumschiff. Er bereitet sich vor, das Schiff zu betreten. Im Frachthangar wäre genug Platz für seinen Jäger.“
„Nein!“ sagte Wolfsson schärfer als beabsichtigt. „Erlaubnis verweigert! Kein Besatzungsmitglied wird das Dudennserschiff betreten! Funken Sie McNaught sofort an!“
„Aye Sir!“
Eine Minute später kam die Bestätigung: der Befehl war weitergeleitet worden.
„Vorbereiten auf Start! Alle Beiboote einschleusen! Wir kehren sofort zum Schiff zurück.“
Diesmal bestätigte der zweite Offizier der PALADIN, ein Frankoterraner mit dem Namen Dominiq Planteur.
„Gouverneur Zaaterman, obwohl ich Sie verstehe, kritisiere ich dennoch Ihre Handlungsweise. Gottseidank ist das Schiff der Dudennser noch weit genug entfernt. Ich kümmere mich um die Angelegenheit. Keiner der Infizierten wir den Boden dieses Planeten betreten, das verspreche ich Ihnen!“
Wolfsson und MacHeath verabschiedeten sich eilig und gingen schnell zur Kommandobrigg zurück. Dort waren alle Startvorbereitungen getroffen worden, und die PALADIN wartete bereits in einem flachen Orbit über der Hauptstadt des Planeten. Alle Beiboote bis auf McNaughts Staffel waren eingeschleust worden.
Der Star Master betrat die Brücke und nahm seinen Platz im Kommandantenchair ein.
„Setzen Sie Kurs auf das Dudennserschiff, Eins Exec! Bringen Sie uns möglichst schnell in die Nähe dieser Einheit!“
„Aye Sir! Alle Mann auf Station! Eins Exec an Navigator: Kurs auf das Dudennserschiff berechnen! Steuermann: Kurs folgen! Maschinenraum: alle Triebwerke auf Vollschub!“
Die kleinen Steuerdüsen feuerten und hoben das gewaltige Kugelschiff aus der Randzone der Atmosphäre des Planeten, dann nahm der Gravitationsantrieb seine Arbeit auf und riss die PALADIN entlang eines errechneten Vektors auf das anfliegende Schiff der Dudennser zu.

 

*


Gleichzeitig wunderte sich Commander McNaught über die plötzliche Hektik, die ausgebrochen war, nachdem er auf dem Schiff landen wollte. Er hatte einen schwachen Audiokontakt mit der Besatzung des Havaristen, der aber immer wieder abbrach.
Auf seinem Display wurde der Ortungsreflex der PALADIN immer größer, bald schon konnte er die schimmernde Metallhülle des Kugelriesen im schwachen Licht der fernen Sonne mit bloßen Augen erkennen. Sein Callimplantat sprach an.
„Hier Commander McNaught, ich höre.“
„Hier Kommandant Wolfsson.“
Dass der Star Master selber mit ihm Kontakt aufnahm, war ziemlich ungewöhnlich.
„Ich habe eine wichtige Frage an Sie, Commander. Hatten Sie irgendeinen direkten Kontakt mit dem Schiff der Dudennser?“
„Negativ, Sir“, antwortete McNaught, „ich hatte den Landeanflug gerade begonnen, da kam Ihr gegenteiliger Befehl. Ich habe den Anflug daraufhin sofort abgebrochen.“
„Gut, McNaught. Kehren Sie mit Ihrer Staffel zurück an Bord. Sie selber bleiben aber bei Ihrem Jäger! Ich habe in Kürze einen Spezialauftrag für Sie.“
„Aye Sir!“
Wieder lief das mittlerweile zur Routine gewordene Einschleusungsmanöver der Jäger reibungslos ab. Als McNaught seine Maschine in der Schleuse verankert hatte, sah er den Kommandanten, der in der Nähe stand und ihm zuwinkte. Der Pilot stieg aus seiner CALEDONIA und ging hinüber zum Star Master.
„Wie lauten meine Befehle, Sir?“
Wolfsson blickte dem über zehn Jahre jüngeren Mann intensiv in die Augen. Der Staffelführer erwiderte den Blick offen und gerade.
„Commander, Sie sind einer der besten Piloten, die an Bord der PALADIN Dienst tun.“
McNaught schwieg. Er ahnte, dass eine knifflige Mission auf ihn wartete.
„Wir müssen annehmen, dass auf dem Dudennserschiff das Morvan - Fieber ausgebrochen ist. Sie wissen vermutlich, dass dies eine absolut tödliche Seuche mit höchstem Ansteckungspotential ist.“
„Ja Sir. Gut, dass ich dort nicht gelandet bin.“
„Genau das werden Sie jetzt tun!“
McNaught hob die Augenbrauen. Das hatte er nicht erwartet.
„Keine Sorge, Sie sollen dort nicht landen! Aber Sie sollen dort einige Gerätschaften abladen, nämlich eine mobile Medoscan- und eine tragbare Komeinheit. Wir brauchen Gewissheit über die Kondition der Besatzung und die Möglichkeit der störungsfreien Kommunikation. Dazu müssen Sie aber in den Hangar des Schiffes einfliegen.“
„Ich verstehe.“
„An Ihrem Jäger wird ein Gravprojektor installiert, der die Geräte trägt. Sie haben die Aufgabe, in die Schleuse des Schiffes einzufliegen und diese dort abzusetzen. Dann kehren Sie sofort zurück! Ein anderer Jäger wird Ihr Schiff mit leichtem Thermobeschuss von den möglichen Erregern säubern. Trauen Sie sich dieses Manöver zu, Mister McNaught?“
„Natürlich, Sir.“
McNaught brauchte keine Sekunde zu überlegen.
Wolfsson nickte und schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter.

Drei Techniker hatten bereits begonnen, die nötigen Umrüstarbeiten an seinem Jäger vorzunehmen. Der Start war für zwei Stunden später angesetzt. Gordon McNaught dachte an das hohe Risiko der Kontamination mit den tödlichen Viren, aber vor allem fühlte er Vorfreude auf die spannende Mission. Er wurde von vielen seiner Kameraden für tollkühn gehalten, er selber hatte einfach größtes Vertrauen in seine fliegerischen Fähigkeiten. Er würde das Dudennserschiff nicht einmal berühren.

Nur der Teil des Plans, wenn ein anderer Jäger ihn beschießen sollte, verursachte kurz ein Gefühl der Nervosität in ihm, das er aber schnell überwand. Er kontrollierte routinemäßig den Aufladevorgang seiner Aggregate.
Dann war es soweit. Die Gerätschaften waren in einer Mulde an der unteren Seite des Hawks befestigt, die vom gelierten Stahl gebildet worden war. Die Energieressourcen der CALEDONIA lagen bei einhundert Prozent. McNaught saß bereits wieder in seinem Cockpit und justierte die Triebwerksleistung gemäß der veränderten Masse des Beiboots. Dann schwang die große Hangarschleuse auf, und sein Schiff sowie die PALADIN HAWK 1.2 unter dem Kommando von Lt. Cmdr. Dominik Graf, der der stellvertretende Staffelführer war, schossen hinaus in die Leere des planetaren Zwischenraums.

Die PALADIN hatte sich inzwischen bis auf tausend Kilometer dem Schiff der Dudennser genähert. Eine Funkverbindung konnte immer noch nicht aufgebaut werden. Die Scanner des Trägerriesen zeigten überdeutlich, dass das Wrack am Ende war. Ganz ohne Antrieb fiel es dem Heimatplaneten entgegen. Immer wieder setzte die Energieversorgung aus, und auch die Notstromaggregate liefen mit ihrer letzten Leistung.
Gordon McNaught näherte sich langsam dem Heck des Raumers, der die Form einer Doppelröhre hatte und knapp einhundert Meter lang war bei einem maximalen Duchmesser von sechzig Meter. Seine Hände ruhten wie immer auf der Kommandokonsole, über die alle Funktionen des kleinen Jägers zu steuern waren. Er aktivierte die Komanlage.
„Hier spricht Commander McNaught an Bord der PALADIN HAWK 1.1. Ich rufe das Raumschiff der Dudennser. Können Sie mich verstehen?“
Er musste den Anruf zweimal wiederholen, dann empfing er eine schwache, von Störungen unterbrochene Antwort.
„...IOS, Einheit der ...dennser. Wir empfa... schwach. Kommen!“
„Verstanden, Dudennserschiff. Der Empfang ist gestört. Öffnen Sie Ihre Heckschleuse, ich habe Gerätschaften für Sie an Bord. Es handelt sich um eine medizinische und eine Kommunikationseinheit. Kommen!“
„Hier DARIOS. Wozu die... ...räte? Kom...!“
„Hallo DARIOS! Wir haben Hinweise, dass bei Ihnen das Morvan - Fieber grassiert. Die Medoeinheit soll das verifizieren. Die Komeinheit ist autark und ermöglicht Ihnen eine störungsfreie Holokommunikation mit uns. Bitte öffnen Sie die Heckschleuse! Kommen!“
Auch diese Mitteilung musste McNaught mehrfach wiederholen, bevor sie vollständig empfangen wurde. Auf der Brücke der PALADIN verfolgten Wolfsson und MacHeath angespannt den schwierigen Funkverkehr. Die Miene des Star Masters war verschlossen, die Brückenoffiziere konnten nicht ahnen, welchen trüben Gedanken er nachhing. Er ahnte, dass die Situation wohl nicht gut ausgehen würde.
McNaught, dessen Jäger unweit des Schiffshecks der Dudennser flog, sah, wie mit einemmal die Hangartore aufglitten. Spuren kondensierter Atmosphäre vereisten in der Kälte des Vakuums. Auch die Pumpen des Schiffes arbeiteten bestenfalls unzureichend. Dann war die Schleuse auf.
Nur mit den Manövrierdüsen arbeitend, schob sich die CALEDONIA langsam näher heran. Jeder Hawkjäger der PALADIN verfügte dank geliertem Stahl über ein Landegestell, das McNaught aber nicht ausfuhr: er hatte nicht vor, irgendeinen Teil des anderen Schiffes zu berühren, um das Kontaminierungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Leider konnte er wegen der abzusetzenden Fracht seine Schilde nicht aktivieren, dann hätte das Risiko gar nicht bestanden. Im Weltraum waren die Schilde der Jäger und Zerstörer so kalibriert, dass sie alle Materie und auftreffende Energie reflektierten. Organische Partikel wurden dabei verbrannt.
Dann schwebte der Jäger im Inneren der Schleuse, nur dreißig Zentimeter über dem Bodenbelag. Dieser war, wie auch die Wände und Decke, hoffnungslos korrodiert. Die Besatzung dieses Schiffes war entweder sehr mutig oder völlig verzweifelt, dachte McNaught. Er deaktivierte das Fesselfeld, und die transportierten Geräte fielen aus der Mulde herunter. Dieser kleine Sturz konnte ihnen nichts anhaben, wusste der Pilot.
Gordon McNaught sah, wie sich eine Mannschleuse öffnete und eine Gestalt in einem Raumanzug wankend die Schleuse betrat. Entweder dieser Mann - oder die Frau - hatte keine Übung in dem, was er oder sie tat - oder es war die furchtbare Krankheit, die die Schwäche auslöste. Der Commander dachte plötzlich nur noch daran, aus dieser Todesfalle zu entkommen. Mit winzigen Energiestößen wendete er die CALEDONIA und schwebte langsam auf die Hangarschleuse zu - die sich vor ihm ruckartig zu schließen begann.
McNaught war ein erfahrener Pilot, er erkannte sofort, dass er nicht entkommen konnte, ohne auf Vollschub zu gehen. Vollschub in dieser kleinen Schleuse würde sich aber verheerend auswirken. Die Person im Raumanzug und die abgelegten Geräte würden sicher vernichtet, und wer weiß was sonst noch alles. Commander McNaught schaltete den Antrieb ab, die CALEDONIA kam wenige Meter vor dem Hangarschott zum Stillstand. Gleichzeitig aktivierte er den semipermeablen Schutzschild des Jägers, der sich augenblicklich um das Beiboot legte.
„Commander McNaught an PALADIN!” Seine Stimme war vollkommen ruhig. „Die Dudennser haben die Schleuse geschlossen, ich bin gefangen. Ich habe meine Schilde aktiviert, eine direkte Gefahr besteht nicht.“
„Wolfsson an McNaught! Wir haben Ihre Situation verfolgt. Aktivieren Sie Ihre Waffensysteme! Im Notfall werden Sie die Schleuse mit Gewalt öffnen!“
„Aye Sir! Momentan sehe ich dazu noch keine Veranlassung.“
„Was ist mit den Gerätschaften? Konnten sie sie absetzen?“
„Jawohl Sir. Beide Geräte werden gerade von einem Besatzungsmitglied in einem Raumanzug aus der Schleuse gebracht. Sie sollten bald in der Lage sein, mit den Dudennsern störungsfrei zu sprechen, Sir.“
„Hören Sie die Kommunikation ab, Mister McNaught, und halten Sie sich bereit!“
Der Pilot bestätigte und nahm die Schaltungen vor, mit denen er sein Callimplantat auf die richtige Frequenz einstellte. Dann schaltete er seine Waffensysteme scharf. Die Plasmarifles schienen aus der Spitze des Jägers zu morphen, die Mündungstrichter begannen glutrot zu glimmen. Gleichzeitig erschien ein virtuelles Zielgitter auf der Innenseite der Sichtkuppel der CALEDONIA. Nur ein Schuss, und er war frei - das wusste McNaught. Im Augenblick jedoch wollte er nicht feuern. Noch überwog seine Neugier: was war hier los?
„Hier spricht Star Master Robin C. Wolfsson, Kommandant des Trägerschlachtschiffs PALADIN an das Raumschiff DARIOS der Dudennser. Unseren Scannern zufolge haben Sie die Ihnen überlassene Komeinheit aktiviert. Bitte melden Sie sich!“
„Willem von Baden an Bord der DARIOS an das solare Kampfschiff.“ Die Antwort kam schnell, es war ein offenbar junger Mann, dessen Stimme jedoch schwach und krank klang. „Was wünschen Sie von uns?“
„Sie halten eines unserer Beiboote in Ihrem Hangar fest“, erwiderte Wolfsson sachlich, „ich gehe im Moment nicht davon aus, dass dies ein feindlicher Akt ist. Bitte öffnen Sie die Schleuse und lassen unseren Jäger frei!“
Leises Stimmengewirr im Hintergrund deutete auf eine heftige Meinungsverschiedenheit an Bord der DARIOS hin.
„Können wir diesen Punkt kurz zurückstellen, Star Master? Wir möchten wissen, warum Sie mit Ihrem Großkampfschiff hier sind.“
Der Kommandant überlegte kurz. Die Komeinheit konnte ohne weiteres holografische Bilder senden und empfangen, dennoch hatten die Dudennser sich für eine Nur - Audioübertragung entschieden. Der furchtbare Verdacht begann durch diese Indizien zur Tatsache zu werden. Wolfsson entschloss sich für ein offenes Vorgehen.
„Wir sind hier“, sagte er langsam und akzentuiert, „auf Wunsch der Föderation Badree. Unser Auftrag besteht darin, Sie mit allen verfügbaren Mitteln an der Landung auf dem Planeten der Föderation zu hindern. Wir haben den Verdacht, dass auf Ihrem Schiff das Morvan - Fieber ausgebrochen ist. Deshalb habe ich Ihnen eine medizinische Sonde geschickt. Ich bitte Sie, diese zu aktivieren!“
Wieder das Stimmengewirr im Hintergrund, dann wurde es ruhig. Die Dudennser hatten die Verbindung unterbrochen.
Gordon McNaught begann sich unbehaglich zu fühlen. Sein kleines Schiff war für schnelle Manöver in der Atmosphäre oder im freien Raum konzipiert. Hier auf der Stelle zu schweben hatte fast eine klaustrophobische Qualität. Er überlegte kurz, ob die Neurotronic der CALEDONIA solche Gefühle kennen mochte und wie sie darauf reagieren würde. McNaught ahnte, dass er dabei war, seine eigene Beklemmung zu projizieren, er wusste natürlich, dass das neuronale Netz, das den Computer bildete, obwohl intelligent, zu so etwas nicht in der Lage war. Die leistungsstarken Rechner dieser Bauart waren nicht fähig, Psychosen zu entwickeln.
„Hier von Baden“, nahmen die Dudennser das Gespräch wieder auf. Nicht nur McNaught nahm dies mit einer gewissen Erleichterung zu Kenntnis.
„Wir brauchen die Medoeinheit nicht einzuschalten.“ Die Stimme klang zunehmend müde, schwach und verzweifelt.

„Wir haben Morvan.“
Wolfsson schloss für einen Moment die Augen. Er hatte bis zuletzt gehofft, diese furchtbare Wahrheit würde sich nicht offenbaren.
„Wir waren einhundertzwanzig, als wir dieses Schiff mit unseren letzten Kredits kauften. Es war eigentlich schon ausgemustert und lag atmosphärelos in einem Raumdock. Wir haben die Aggregate gestartet, nachdem wir alle an Bord waren. Vier Tage später erkrankten die ersten Brüder. Jetzt sind wir noch vierundfünfzig, doch jeder ist bereits infiziert.“
Der Star Master schluckte.
„Ich verstehe“, sagte er dann und hoffte, die armen Menschen würden sein tiefempfundenes Mitleid spüren. Dann kämpfte er diese Gefühlsregungen herunter und besann sich auf seine Pflicht.
„Sie dürfen nicht landen!“ sagte er ruhig, aber bestimmt. „Sie würden ganz Badree verseuchen.“
„Wer sind Sie, uns das zu verbieten?“

Es war die hysterische Stimme einer Frau.

„Wer sind Sie, uns daran zu hindern? Wir sterben! Viele sind schon gestorben! Wir wollen nur nach Hause, nach Hause...“

Ihre Stimme ging unter in einem hilflosen Schluchzen.
„Es ist gut, Aletha“, sagte von Baden in einem hilflosen Versuch, die Frau zu beruhigen, „alles ist gut.“ Das Weinen wurde lauter.
„Sie kennen nun unsere Situation.“ Das war wieder an Wolfsson gerichtet. „Wir haben nur noch kurze Zeit zu leben. Es ist unser Wunsch, auf unserer Heimatwelt zu sterben. Ist das zu viel verlangt?“
Wolfsson wechselte stumme Blicke mit Sarah MacHeath. Auch von ihrem Gesicht war das tiefe Mitgefühl abzulesen.
„Sie dürfen nicht landen!“ wiederholte er dann endlich. Mehr nicht.
Plötzlich erhellte sich der Komholo, die Dudennser hatten die Bildübertragung aktiviert. Der Anblick war noch entsetzlicher als befürchtet. Im Fokus der Sendeeinheit sah man ein Dutzend ausgemergelte Gestalten, die sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten konnten. Die meisten lehnten an ihren Stationen oder hockten und lagen kraftlos daran oder davor. Die Gesichter und Hände waren bedeckt von kleinen, durchsichtigen Pusteln, die schwach zu pulsieren schienen. Die Haut selber war grau bis aschfarben, wo nicht gerade kleine Rinnsale grünen Eiters oder roten Blutes darüber flossen.
Morvan-Fieber im Endstadium.
Weitere Erkrankte kamen ins Blickfeld. Auch Kinder waren dabei. Commander MacHeath spürte, wie Tränen in ihre Augen traten.
Auch Kinder!
Sie unterbrach die Übertragung und trat vor den Kommandochair. Wolfsson wusste, was sie sagen würde.
„Es muss etwas geben, was wir für diese armen Menschen tun können, es muss einfach! Die Kinder!“
Der Star Master senkte den Kopf. Er war nicht fähig, zu antworten, nicht in diesem Augenblick. Er schüttelte nur stumm den Kopf. Sarah MacHeath wusste, dass er Recht hatte. Es gab keine Möglichkeit, diesen Menschen ihren letzten Willen zu erfüllen. Das Schicksal von Millionen anderen stand auf dem Spiel. Die DARIOS durfte niemals auch nur in die Nähe des Planeten gelangen, oder das Sterben würde dort erst richtig beginnen.
Auch andere Optionen bestanden nicht. Der Versuch, das Dudennserschiff mittels Zugstrahlen anderswohin zu schleppen, war von vorneherein zum Scheitern verurteilt, die Zelle des Wracks würde das niemals aushalten - und selbst wenn: bis ein Medokreuzer der Flotte eingetroffen wäre, wären längst alle tot gewesen. Auch konnte der Kommandant die Erkrankten nicht auf die PALADIN schaffen. Das Schiff hatte zwar eine große und topmoderne Krankenstation, zu der auch eine Quarantäne-Abteilung gehörte, die sich absolut isolieren ließ: es gab aber keine realistische Chance, so viele Todkranke bei akzeptablem Risiko für die Crew dorthin zu bekommen, ohne das gesamte Schiff zu kontaminieren. Der Star Master musste eine Entscheidung treffen.
Wolfsson reaktivierte die Komleitung.
„Hier ist die PALADIN. Bitte lassen Sie unseren Piloten frei! Ansonsten muss ich ihm befehlen, sich gewaltsam zu befreien. Bitte stoppen Sie Ihr Schiff! Sie dürfen nicht weiterfliegen, und Sie wissen es! Ich muss Sie daran hindern, Mister von Baden. Bitte zwingen Sie mich nicht dazu!“
„Bastard!“ schrie irgendjemand.
Wolfsson wusste nicht, ob es von Bord der DARIOS kam oder von seiner eigenen Brücke. Augenblicklich interessierte es ihn auch nicht.
Willem von Baden nickte stumm vor sich hin. Er war zu derselben Einschätzung der Lage gekommen.
„Nein, Willem!“ Das war wieder die Frau namens Aletha. Sie hatte einen kleinen, leblosen Jungen auf dem Arm. „Lass den Piloten nicht frei! Er ist unser Faustpfand. Niemand schießt auf uns, solange wir ihn in unserem Hangar haben! Lass ihn nicht frei, Willem!“
Von Baden antwortete nicht. Wahrscheinlich fehlte ihm die Kraft.
Stattdessen nahm er einige Schaltungen vor.
Commander Gordon McNaught bemerkte es sofort: das Hangarschott glitt zur Seite. Sekunden später manövrierte er seine CALEDONIA aus dem Schleusenraum, er war frei.
„McNaught an PALADIN! Ich habe den Hangar verlassen.”
„Gut, Commander“, antwortete MacHeath an Wolfssons Stelle. „Fahren Sie fort wie besprochen! Leiten Sie die Dekontaminierung Ihres Schiffes ein!“
McNaught bestätigte kurz, dann deaktivierte er seine Waffen, die Schilde und den Antrieb. Der Hawkjäger schwebte bewegungslos im Raum. Auf dem taktischen Display sah der Commander den anderen Jäger näherkommen. Die Anzeigen verrieten, dass seine Waffen „heiß“ waren, wie die Piloten sich ausdrückten.
„Dann mal los, Graf!“, gab der Commander Weisung, „aber nicht daneben schießen!“
„Aye Sir“, antwortete der stellvertretende Staffelführer nur. McNaught hatte schon immer gewusst, dass Dominik Graf schon genetisch über keinerlei Humor verfügen konnte.
Die flache Silhouette der PALADIN HAWK 1.2 glitt auf ihn zu. McNaught hatte jetzt eigenartigerweise keine Angst. ‚Was für ein schönes Schiff!’, dachte er nur bei sich. Dann feuerte der Jäger.
Die Plasmabündel der Energiedestruktoren rasten heran, beleuchteten die Umgebung stroboskopartig. McNaught spürte keinen Einschlag. Er sah nur das Riflefeuer, das aussah wie Mündungsblitze einer antiken Revolverkanone. Dutzende Treffer verzeichnete die Neurotronic, und die Außentemperatur des Jägers stieg auf über tausendfünfhundert Kelvin. Kein Virus konnte das überleben. Dann war es vorbei.

*

 

Auf der Brücke der PALADIN war die Situation unverändert.
„Stoppen Sie Ihr Schiff, von Baden! Bitte! Zwingen Sie mich nicht...“, Star Master Wolfsson zögerte, das Schreckliche auszusprechen, „...Sie zu vernichten!“
Willem von Baden stand nur da und schüttelte den Kopf.
„Selbst wenn wir wollten“, sagte er nur, „wir haben keinerlei Energiereserven für die Triebwerke.“
„Von Baden“, erwiderte Wolfsson beschwörend, „wir schicken Ihnen Schmerzmittel, Nahrung, was Sie wollen! Bitte!“
„Keine Energie“, murmelte von Baden, „keine Energie.“

Diese Aussage entsprang seiner Resignation. Er wandte sich ab und ging zu der Frau namens Aletha, die still weinend das tote Kind an sich drückte. Von Baden nahm beide in den Arm.
Star Master Robin Charles Wolfsson holte tief Luft.
„Commander MacHeath“, sagte er förmlicher als gewöhnlich, „Anfrage Entfernung Dudennserschiff zum Planeten der Föderation!“
„Bei gleichbleibender Geschwindigkeit“, Sarah MacHeaths Stimme klang rauh, „vierzehn Stunden und fünf Minuten, Sir.“
Der Kommandant nickte.
„Klar Schiff zum Gefecht!“ befahl er dann.
„Alle Mann auf Kampfstationen! Waffensysteme aktivieren! Semipermeable Schildgitter in Energie! Beibootstaffeln klar zum Ausschleusen!“
MacHeath gab diese Befehle völlig ohne den gewohnten Enthusiasmus.
„Kommandant an Eins Gunner! Breitseite ohne S - Torpedos! Waffensysteme auf maximale Feuerkraft! Ziel erfassen: das Dudennserraumschiff!“
Domingo Sabbado zögerte. Er wusste, dass dem Star Master keine Wahl blieb, dennoch zögerte er.
„Befolgen Sie Ihre Befehle, Commander!“ sagte Wolfsson barscher als beabsichtigt.
„Aye Sir“, meldete der Waffenoffizier dann, „Breitseite ohne Singularitätstorpedos, maximale Feuerkraft. Ziel erfasst.“
Die Eins Exec konnte nur vermuten, welche Gefühle den Kommandanten in diesen Minuten bewegten. Sie selber litt unter der furchtbaren Situation mehr, als sie sich eingestehen wollte.

Eine Breitseite.

Die Waffen der PALADIN waren die modernsten und stärksten Vernichtungssysteme, die in der Solaren Flotte eingesetzt wurden. Bei dem Zustand des anderen Schiffes hätte eine Plasmakanone mehr als gereicht. Wolfsson, das ahnte sie, wollte aber nicht riskieren, dass noch jemand dort an Bord etwas vom Unvermeidlichen spürte: das Inferno sollte über sie kommen wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Star Master Wolfsson nahm einige Schaltungen auf seinem Kommandopanel vor.
‚Er hat die Feuerkontrolle auf seinen Platz umgeleitet’, dachte MacHeath betroffen. ‚Er will diese Verantwortung selbst und allein übernehmen.’
Wolfsson blickte ein letztes Mal auf das Holo, das die sterbenden Dudennser zeigte, dann schaltete er ab.
In der Hauptstadt der Föderation Badree war es Nacht geworden, und ein helles Sternenzelt leuchtete am Firmament. Keinem der dort lebenden Menschen, auch nicht Gouverneur Zaaterman, fiel in dieser Pracht der kleine Stern auf, der kurz erstrahlte, um dann für immer zu verblassen.

ENDE LESEPROBE

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